Morning Roundup: Brexit – „hundert bezahlte Wissenschaftler“

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Iran-Politik: Streit zwischen State Department und Finanzministerium

Zwischen US-Außenministerium (State Department) und Finanzministerium (Treasury Department) ist laut „Free Beacon“ ein grundsätzlicher und anhaltender Streit darüber entbrannt, inwieweit Iran Zugang zum amerikanischen Finanzsystem erhalten solle. Auf Forderungen aus Senat und Repräsentantenhaus, den Iran von US-Finanzmärkten auszuschließen, sei die Obama-Administration im Mai zwar nicht nachgekommen. Mittlerweile seien solche Versprechungen jedoch – aus dem Finanzministerium – gemacht worden. „Free Beacon“ beruft sich auf einen nicht namentlich Kongressmitarbeiter, dessen Arbeitsbereich mit der Obama-Administration zu tun habe.

Ökonom: Rechtspopulismus stellt „Eliten“ vor Grundsatzentscheidung

Systemische Hauptursache für den Aufstieg der Rechtspopulisten ist die jahrzehntelange Ausbreitung des Neoliberalismus in Wissenschaft, Medien und Politik,

konstatiert Stephan Schulmeister, ein österreichischer Ökonom, in einem Beitrag für den „Freitag“. Es sei die Behauptung der „Krisengewinnler“ – der Rechtspopulisten -, sie wollten den Primat der Poltik über die Märkte wieder herstellen, die sie so attraktiv für verunsicherte Wähler mache.

Ohne die Einsicht der Eliten, dass der Neoliberalismus das erfolgreichste Projekt der Gegen-Aufklärung und der (Selbst-)Entmächtigung sowie Ent-Moralisierung der Politik darstelle, werde man Krise und Rechtspopulisten nicht bekämpfen können, so Schulmeister, und verweist auf eine Wahl, vor der politische Führer beiderseits des Atlantiks in der Weltwirtschaftskrise ab 1929 standen:

In der Depression der 1930er Jahre (ausgelöst durch den Börsenkrach 1929) wählte Roosevelt mit seinem „New Deal“ den Weg der Selbst-Ermächtigung der Politik durch radikale Regulierung des Finanzsektors sowie durch eine aktive Beschäftigungs- und Sozialpolitik zur Bekämpfung der Armut und zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

In Deutschland ebnete die Sparpolitik des Anti-Faschisten Brüning Hitler den Weg zur Macht. Immer mehr Deklassierte folgten ihm. Denn er versprach jedem Deutschen Geborgenheit in der Volksgemeinschaft und lenkte Wut und Verbitterung auf Schuldige: „Oben“ das jüdische Finanzkapital, andere Nationen und der Völkerbund, „unten“ die Juden.

 

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Victoria Nuland in Ukraine und Russland

US-Vizeaußenministerin Victoria Nuland hielt sich am Mittwoch in Kiew zu Gesprächen mit der ukrainischen Führung auf. Es sei dabei um „Reform-Prioritäten“ und um die Minsker Abkommen gegangen, so die der russischen Interfax-Gruppe zugehörige Nachrichtenagentur Interfax-Ukraine. Sie werde anschießend nach Moskau weiterreisen, um mit führenden russischen Offiziellen die Situation in der Ostukraine, um in Unterstützung des Normandie-Formats und der Trilateralen Kontaktgruppe die nächsten Schritte der Umsetzung der Minsk-Vereinbarungen zu diskutieren. Ein Treffen Nulands mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroshenko sei „laut Quellen“ während ihres Aufenthaltes in Kiew – entgegen ursprünglicher Planungen – nicht vorgesehen.

Japanisch-Russische Konsultationen

Japan und Russland haben bei Konsultationen auf Sondergesandten- bzw. Vizeministerebene in Tokio die Notwendigkeit festgestellt, Vorbereitungen für einen Besuch Präsident Vladimir Putins in Japan fortzusetzen. Mit anderen Worten: ein konkreter Termin steht noch aus. Putin hatte vor mehreren Jahren eine Einladung aus Japan erhalten. Ein solcher Besuch sei aber verschoben worden, nachdem Japan westliche Sanktionen gegen Russland unterstützte, so TASS in einer Meldung vom Mittwoch.

Russland verspricht sich von einer russisch-japanischen Annäherung sowohl geopolitische als auch ökonomische Vorteile. Japan wiederum interessiert sich für Investitionsmöglichkeiten in Russland, und verspricht sich von einem Friedensvertrag mit Moskau (bisher gibt es technisch gesehen lediglich einen Waffenstillstand zwischen den beiden Ländern) eine internationale Aufwertung.

 

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Brexiters: Trau‘ keinem Experten

Die Brexit-Kampagne sehe überall Nazis, so Robert Mackey, „The Intercept“. Tonangebend sei der frühere Londoner Bürgermeister Boris Johnson gewesen, der im Mai dem „Telegraph“ erklärte, die EU wolle einen Superstaat, genau wie Hitler.

Mackey:

Eine Art Höhepunkt wurde Dienstagabend erreicht, als Michael Gove, der Justizminister und Anführer der Leave-Kampagne, in einem Radiointerview gefragt wurde, warum die Wähler ihm vertrauen sollten, anstelle einer Vielzahl von führenden Wirtschaftsexperten, inklusive zehn Nobelpreisträgern, die warnten, ein Verlassen des gemeinsamen Marktes und ins Unbekannte könne die britische Wirtschaft ernsthaft schädigen und das Land in die Rezession kippen könne.

[…]

„Der Schlüsselsachverhalt ist hier, die Annahmen abzufragen, die gemacht werden, und zu fragen, ob das gute Argumente sind,“ sagte Gove. „Ich meine, wir müssen vorsichtig mit historischen Vergleichen sein, aber Albert Einstein wurde während der 1930er Jahre von den deutschen Behörden dafür angeprangert, falsch zu liegen, und seine Theorien wurden als falsch angeprangert, und einer der Gründe dafür, dass er angeprangert wurde, war der, das er Jude war.“

„Sie boten 100 von der Regierung bezahlte Wissenschaftler auf um zu sagen, dass er unrecht habe,“ fuhr Gove fort, „und Einstein sagte, „’schau‘ mal, wenn ich unrecht hätte, wäre einer genug gewesen.'“

Gove bezog sich – ungenau – auf ein Anti-Einstein-Buch, das 1931 in Deutschland veröffentlicht wurde, 100 Autoren gegen Einstein, das keine Veröffentlichung der Nazi-Regierung war, die zwei Jahre später an die Macht kam, das aber Beiträge einer Anzahl von Nazi-Sympathisanten enthielt.

[…]

Wenngleich Gove sich am Mittwoch für die Analogie entschuldigte – während er vor einem Bus mit einer Aufschrift mit einer falschen Statistik über Großbritanniens finanziellen Beitrag zur EU stand – waren die Bemerkungen des konservativen Politikers aus zwei Gründen von Bedeutung. Zum einen, weil sie zeigten, wie sehr eine komplexe Debatte über Wirtschafts- und Sozialpolitik in eine Art Streit überging, wie man sie eher aus einem Kommentierthread online kennt, wo Godwin’s Law immer zum Tragen kommt. Und zweitens, weil Gove selbst die letzten Tage der Kampagne damit verbracht hat, die Wähler zu drängen, eine Welle von Experten zu ignorieren, die argumentieren, dass die Vorteile einer fortgesetzten EU-Mitgliedschaft die Kosten für Großbritannien überwiegen, und lieber ihrem eigenen Instinkt zu vertrauen, dem zufolge etwas faul sei an einem Projekt, auf das die Deutschen so scharf sind.

Allerdings behauptet auch nicht jeder Befürworter eines Verbleibs in der EU, dass die „Remain-Kampagne“ sich mit einer auffallend löblichen Wahrheitsliebe hervorgetan habe. In diesem Zusammenhang führt Mackey den Juraprofessor Michael Dougan an, der gesagt habe, dass, „wenngleich die Remain-Kampagne sich in manchen Punkten nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat, mit ihrer Nutzung fragwürdiger Statistiken, finde ich, dass die Leave-Kampagne im industriellen Maßstab in die Unehrlichkeit degeneriert ist,“ um dann 25 Minuten lang die wichtigsten Argumente der Brexit-Unterstützer zu widerlegen [Video dort.]

 

#BREXIT +++ UPDATE [8:31 Uhr] __by Auerbach +++ heute wird in England abgestimmt +++ Zahlen, Fakten, Infografiken und Charts zu Wirtschaftsleistung und Finanzen der EU, England, #Brexit und die Folgen im Backgroundguide des Data Grafik Teams vom Economist Magazin hier.

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Nordkoreanische Tests, chinesische Reaktion

Über zwei neuerliche nordkoreanische Raketentests, die entweder möglicherweise technische Fortschritte brachten oder ein Misserfolg waren, oder ein teilweiser Misserfolg, oder auf die das eine wie das andere (trial and error) zutrifft, ergab sich am Mittwoch zwischen einem Teilnehmer der Pressekonferenz beim chinesischen Außenministerium und der Ministeriumssprecherin Hua Chunying folgender Dialog:

Q: Die Demokratische Volksrepublik Korea startete heute zwei Mittelstreckenraketen, die beide als Misserfolge endeten. Die japanische Regierung und die Regierung der Republik Korea haben Besorgnis darüber ausgedrückt. Die chinesische Regierung ruft stets die relevanten Parteien dazu auf, Ruhe zu bewahren und Zurückhaltung zu üben. Wird China diesmal der DVRK gegenüber Bedenken äußern?

A: Wir haben die relevanten Berichte zur Kenntnis genommen. Die koreanische Halbinsel befindet sich zur Zeit in einer komplexen und heiklen Situation. Die relevanten Parteien sollten Aktionen vermeiden, die die Spannung eskalieren, und gemeinsam den regionalen Frieden und die regionale Stabilität wahren.

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Vergl. KBS, „Brennpunkt“, 16.06.16

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AIR: FDI-Liberalisierung Indiens „befeuern“ Kapitalzuflüsse

Der World Service des indischen Rundfunks, All India Radio (AIR), hebt in einem Kommentar wünschenswerte Wirkungen der Liberalisierungsmaßnahmen für Auslandsdirektinvestitionen (FDI) hervor, die die indische Unionsregierung bisher vorgenommen habe:

Dies war die vierte Runde von großen Änderungen hinsichtlich der FDI, seit die Regierung vor zwei Jahren ins Amt kam, und die zweite seit November vorigen Jahres, als die Bestimmungen für eine Anzahl von Sektoren – unter anderem Luftfahrt, Bau und Einzelhandel – erleichtert wurden. Zuvor hatte die Regierung die Deckelung auf FDI in Versicherungen und Verteidigung angehoben, bei gleichzeitiger Ermöglichung von Auslands[investitions]flüssen in die Eisenbahnen, die zwei Jahrzehnte lang nach den Reformen von 1991 geschlossen geblieben waren. Die Schritte befeuerten einen Sprung von 54 Prozent in den FDI-Flüssen im vergangenen Rechnungsjahr, auf einen Rekordwert von 55,5 Mrd. US-$. Diesmal konzentrierte man sich auf die Aufhebung der strengen Bedingungen, die oft mit der [ersten] Öffnung eines Sektors einhergehen, und die tendenziell Investoren abschrecken. Die Regierung hat daher die Regeln für Unternehmen der Verteidigungsindustrie gelockert, bei denen der Auslandseigentumsanteil bei über 49 Prozent liegt. Die Regierung hat nun klargestellt, dass, wenn die Verteidigungssstreitkräfte Güter benötigen, und mit Nutzung moderner Technologie im Gegensatz zum Stand der Technik produziert wird, eine örtliche Produktionsanlage hinzukommen kann.

Selbst beim Nahrungsmitteleinzelhandel entschied sich die Regierung, Forderungen zu ignorieren, nach denen für die Einzelhändler Beschaffungsnormen vorgeschrieben werden sollten, in einem Segment, in dem 100 Prozent FDI ohne Zusatzbestimmungen erlaubt wurden, was auch für den elektronischen Handel gilt. […]

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Vergl. „Morning Roundup“, 21.06.16, Weitreichende Reformen.

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Über justrecently

Blogging about China - the economy, politics, and society. Translating Chinese press articles into English. Making Net Nanny talk.

7 Antworten zu “Morning Roundup: Brexit – „hundert bezahlte Wissenschaftler“”

  1. Auerbach sagt :

    Hat dies auf montagfrei rebloggt.

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    • justrecently sagt :


      Wer fängt morgen mit demRoundup an? Sie morgen, ich übermorgen? Oder umgekehrt?
      Wenn Sie oder ich oder wir beide oder noch jemand – neben demRoundup – speziell „etwas Eigenes“ zum Brexit/Nichtbrexit schreibt, schadet das ja auch nicht.

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      • Auerbach sagt :

        Ist historisch, ich lasse Ihnen da gern den Vortritt. Habe gerade aber schon mal einen Draft für morgen angelegt https://sofortbild.wordpress.com/wp-admin/post.php?post=2491&action=edit
        und mache heute Abend noch ein paar Bilder … Schäuble und Merkel und Hollande … es gab ein paar spannende, linke Stimmen zum Leave vs. Stay, u. a. Paul Mason, den ich im Twitterfeed geteil habe
        – »Roll up for Brexit – a fake revolt of the underclass, led by the rich« https://www.theguardian.com/commentisfree/2016/jun/20/brexit-fake-revolt-eu-working-class-culture-hijacked-help-elite
        – »I’ll be voting Remain tomorrow – but my vote is not a mandate for Lisbon, for Erdogan or for Cameron. Here’s why:« https://medium.com/@paulmasonnews/dear-jean-claude-juncker-e0d9855924d0#.3c9jl3kjj

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      • Auerbach sagt :

        Meine Meinung zum #BREXIT, in a nutshell: Es geht gar nicht um die EU. Es ist eine Stellvertreterabstimmung; ein versteckter Klassenkampf zwischen den wenigen, die von neoliberaler Politik immer stärker profitieren und der Mehrheit der Bevölkerung, die sieht, dass es keine Spielräume und Ressourcen für sie gibt. Siehe auch Frankreich und #LoiTravail #NuitDebout. Neoliberalismus hat inzwischen die Showdown-Phase erreicht. :)))

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        • justrecently sagt :

          Es geht gar nicht um die EU. Es ist eine Stellvertreterabstimmung; ein versteckter Klassenkampf zwischen den wenigen, die von neoliberaler Politik immer stärker profitieren und der Mehrheit der Bevölkerung, die sieht, dass es keine Spielräume und Ressourcen für sie gibt.

          Jaoui. Einerseits. Andererseits tendiere ich zu Wolfgang Streecks Ansicht, dass der alte Nationalstaat .. im Grunde die letzte Bremse, die wir noch haben, um diese immer größeren Aggregate noch mal zu verhindern.

          Insofern halte ich den britischen „Aufstand“ für keinen reinen Fake. Zwar bietet das, was die britischen „Eliten“ für „ihr“ Volk übrig haben, noch nicht einmal das Level der EU-Sozialcharta, aber sie bietet mehr accountability.

          Und dann halte ich es – mehr noch als mit Streeck – mit der Ansicht Lukas Szopas, dass ein Verantwortungssystem auf Gegenseitigkeit, das wirklich funktioniert, nur auf örtlicher Basis geben kann. Ich weiß nicht, ob er es just so gesagt hat, aber es geht in ungefähr diese kommunale Richtung.

          Aber wie gesagt: die EU ist kein legitimes politisches Gebilde. Ich finde sie als Verhandlungspool gegenüber Amerika oder China gut (z. B. in den WTO-Verhandlungen um die Jahrhundertwende), aber das war’s dann auch mit ihr.

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          • Auerbach sagt :

            Die Idee der EU ist ein großer Wurf, ein Versprechen. Die kleingeistige Ausformulierung hingegen vermag jedoch das schöne Versprechen der Idee nicht zu fülen. Ich bin für mehr Europa. Und für eine neue Generation von Politikern.

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      • justrecently sagt :


        Ha!
        https://sofortbild.wordpress.com/wp-admin/post.php?post=2491&action=edit
        Sie stecken schon drin; ich schlafe morgen aus. 🙂

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