Morning Roundup: Theresa May nuklear schussbereit
Donald J. Trump ist jetzt US-Präsidentschaftskandidat der Republikanischen Partei. Und Angela Eagle macht in der Labour-Basiswahl des Parteichefs Platz für Owen Smith, um eine einig‘ Front gegen Amtsinhaber Jeremy Corbyn zu bilden. Dazu mehr am morgigen Donnerstag.
Sofortbild, der anglophile Blog, bleibt heute auf den britischen Inseln. Es geht um die vier atomar bewaffneten U-Boote des Vereinigten Königreichs. Aber der Reihe nach, von Samstag, dem 16. Juli, bis zum späten Montagabend, dem 18. Juli.
1. Prolog, Radio 4, 16.07.16
Tom Newton Dunn von der „Sun“, rotierender Mitmoderator der BBC-Radio-4-Serie „Week in Westminster“ und auf Schicht am 16.07., bestaunte die Geschwindigkeit des britischen politischen Lebens und zeichnete dann zusammen mit David Camerons Kommunikationsdirektor a. D. Craig Oliver ein duftes Image des Premierministers a. D..
Und was – nächste Frage – wartete auf die neue Premierministerin Theresa May, „hinter jener großen schwarzen Tür“? Dr. Catherine Haddon, eine Historikerin, sollte Dunn beim Lüften der Geheimnisse helfen, und sie hatte den konservativen Mittelstandsbildungsbürgern vor den Radiogeräten und an den mobilen Endgeräten viel Wissenswertes zu bieten.
CH: Man wird sie mit der nuklearen Abschreckung bekanntgemacht haben, und der Chef des Verteidigungsstabs wird sie mit ihr durchgesprochen haben, und welche Feuerkraft besteht, was sie ausrichtet, was sie genau ausrichtet, weil sie nun dafür verantwortlich ist, und sie wird gebeten worden sein, nukleare Stellvertreter zu ernennen, Leute, die die Entscheidung in ihrer Abwesenheit treffen können, und sie wird diese berühmten Ultima-Ratio-Briefe an die U-Boot-Kommandanten schreiben, darüber, was im Fall eines schweren Schlags gegen das UK getan werden soll, wenn, wissen Sie, niemand Entscheidungen treffen kann.
CH: She will also have been introduced to the nuclear deterrents, and talked through that by the Chief of Defence Staff, and exactly what kind of firepower it does, exactly what it does, because she is now in charge of that, and she would have been asked to both appoint nuclear deputies, people who can take the decision in her absence, and also to write these famous letters of last resort to the submarine commanders about what to do in the event of a major strike on the UK where, you know, noone can make any decisions.
TD: Was sollen sie tun?
TD: What are they supposed to do?
CH: Nun,also diese Briefe – sie sind handgeschrieben – werden versiegelt, den U-Boot-Kommandanten selbst zugeschickt und in Safes in unseren vier Trident-U-Booten hinterlegt, und sie werden nur in dem Fall geöffnet, dass [die U-Boote] allen Kontakt mit dem UK verloren haben und wenn es einen katastrophalen Schlag gegeben hat.
CH: Well, so these letters – they’re handwritten letters -, they are sealed, sent off to the submarines themselves and put into safes in our four Trident submarines, and they are only to be opened in the event that they have lost all contact with the UK and when there has been a catastrophic strike.
[…]
CH: Es ist sehr nach Art des Kalten Kriegs. Das […] ich meine, sie bestehen daraus, dass man für, ich glaube, vier Stunden nicht in Kontakt mit dem Marinehauptquartier war, und dass keine Kommunikation aus dem UK kommt, wovon […] Radio 4 eines ist. Man geht davon aus, das es vier Optionen gibt, die hier mit enthalten sind: Vergelten, nicht vergelten, die Sache der Entscheidung des U-Boot-Kommandanten überlassen …
CH: It’s very cold-war. That’s […] I think now it consists of not being in contact with naval headquarters for, I think it’s four hours, and no communications coming out of the UK, of which […] Radio 4 is one of those. There are considered to be four options, that might be included in that: retaliate, don’t retaliate, it might be just to put it under the submarine commander’s decision …
TD: Den schwarzen Peter weitergeben?
TD: To pass the buck?
CH: Ja, genau.
CH: Yes, exactly.
TD: Das ist ein großer schwarzer Peter.
TD: It’s a big buck to pass.
CH: Und es ist eine überwältigende Verantwortung für den U-Boot-Kommandanten, es so zu handhaben. In mancher Hinsicht, die Entscheidung weiterzugeben, unter den Umständen – man weiß nicht, unter welchen Umständen [die Briefe] geöffnet werden müssen -, und die letzte Option ist dann, [die U-Boote] unter das Kommando eines unserer Verbündeten zu stellen, das der Australier oder der Amerikaner, und sie gewissermaßen unter ihren Oberbefehl zu stellen. […] Sehr wenige Premierminister haben wirklich enthüllt, was sie getan haben wollten. James Callaghan war der einzige. Er sagte, seine Wahl war, keine Vergeltung zu üben. Aber natürlich untergräbt es völlig die Abschreckung, wenn sie enthüllen, was sie vielleicht getan hätten, und darum hören wir für gewöhnlich nichts [von den nuklearen Briefen]. Sie werden zerstört, wenn der Premierminister zurücktritt, und David Camerons werden nun zerstört.
CH: And it’s an awesome responsibility for the submarine commander to do, so in some respects, passing on that decision, given the circumstances – you won’t know in which circumstances these need to be opened -, and then the last [option] is to pass command over to one of our allies, the Australians or the Americans and to sort of effectively put them under their command. […] Very few prime ministers have actually revealed what they wanted to do. James Callaghan was the only one. He said his one was not to retaliate. But obviously, it completely undermines deterrence for them to reveal what they might have done, so we usually don’t hear anything about [the nuclear letters]. They are destroyed after the prime minister resigns, and David Cameron’s are being destroyed now.
Radio 4 sei in etwa die „Prawda“ der britischen Mittelklasse, bemerkte vor einigen Jahren der konservative britische Blogger Foarp:
[Radio 4] verabreicht eine besondere Art der Weisheit, die einen von der faden Oberklasse und der umnachteten Arbeiterklasse unterscheidet. Seine Wirkung auf das Gemüt der britischen Öffentlichkeit liegt darin, dass es ein Image mittelständischer Ehrsamkeit schafft, das von keinen gegenteiligen Hinweisen beseitigt werden kann.
It dispenses a particular kind of wisdom which distinguishes one from the vapid upper class and the benighted working class. It’s effect on the minds of the British public is to create an image of middle-class respectability which no evidence to the contrary can dispell.
Vor dem Radiogerät oder an den mobilen Endgeräten sitzen also nicht die Idioten, die Labour wählen oder hemmungslos Staatsgeheimnisse ausplaudern (wie Labour-Premiers das tun): das Publikum war am vorigen Samstag bei Dunn & Haddon überwiegend gut aufgehoben.
2. Unterhausdebatte, 18.07.16
Und derart gut vorbereitet durfte das kluge britische Mittelklassenpublikum am Montag Nachmittag & Abend die große Debatte über die Trident-Modernisierung verfolgen, deren Hintergründe die „Tagesschau“ online am selben Tag darstellte. Labour-Chef Corbyn, ein Gegner der nuklearen Bewaffnung Großbritanniens, suchte einen Mittelweg zwischen seiner Position und den Gewerkschaften, die um die damit verbundenen Arbeitsplätze fürchteten.
Corbyns Mittelweg – U-Boote ja, nukleare Bewaffnung nein – tauchte auch in einer spöttischen Referenz der Premierministerin auf (siehe unten, 20. Minute).
Das Video der Debatte.
Und ein – nicht erschöpfendes – Protokoll der Eröffnungsreden.
2. a. Statement Theresa May
4. Minute: Russische Bedrohung. „The nuclear threat hasn’t gone away, if anything, it has increased.“
Putin baue das nukleare Arsenal seines Landes aus, und „there is no question about President Putin’s willingness to undermine the rules-based international system in order to advance his own interests.“
5. Minute
May zitiert Nordkorea als Beispiel für Länder, die Nuklearwaffen erwerben wollten, es handle entgegen den Resolutionen des UNSC so, es sei das einzige Land, das in diesem Jahrhundert Nuklearwaffen getestet habe, und es teste ballistische Trägersysteme, die für diese Nuklearwaffen geeignet sein könnten.
6. Minute
Sie argumentiert, wenn man eine nukleare Bewaffnung erst einmal aufgegeben habe, sei sie kaum wieder neu aufbaubar, es sei denn in Jahrzehnten. Diese zeitlichen Dimensionen seien von Belang, weil kaum vorhersehbar sei, vor welchen nuklearen Bedrohungen GB und seine Verbündeten zukünftig stehen könnten.
8. Minute
Als legitimierte Atommacht trage GB Verantwortung für seine europäischen Verbündeten: „Britain is going to leave the European Union, but we are not leaving Europe, and we will not leave our European and NATO allies behind. Being recognized as one of the five nuclear weapons‘ states under the nuclear non-proliferation treaty also confers unique responsibilities, as many of the nations who signed the treaty in the 1960s did so on the understanding that they were protected by NATO’s nuclear umbrella, including the UK deterrent.“
9. Minute
Kosten:
[…] no credible deterrent is cheap, and it’s estimated that the four new submarines will cost 31 bn Pounds to build, with an additional contingency of ten bn Pounds, but the acquisition costs spread over 35 years, this is effectively an insurance premium of 0.2 percent of total annual government spending. That’s twenty cents in every one-hundred Pounds for a capability that will protect our people through the 2060s and beyond.
20. Minute (der Schlagzeilenmacher ihrer Rede, eine Antwort auf eine Zwischenfrage)
Q: Is she personally prepared to authorize a nuclear strike that could kill a hundred thousand innocent men, women, and children?
A: Yes. And I have to say to the honorable Gentleman: the whole point of a deterrent is that our enemies need to know that we would be prepared [drowned in reactions]. Unlike some suggestions that we could have a nuclear deterrent but not actually be willing to use it which came from the Labour Party front bench.
22. Minute
May bekennt sich zu nuklearer – multilateraler – Abrüstung, …
23. Minute
… aber „we are committed to retain the minimum amount of destructive power needed to deter any aggressor.“
Und man werde nicht einseitig abrüsten:
But Britain has approximately one percent of the 17,000 nuclear weapons in the world. For us to disarm unilaterally, would not significantly change the calculations of other nuclear states, nor those seeking to acquire such weapons. To disarm unilaterally would not make us safer, nor would it make the use of nuclear weapons less likely.
2. b. Statement Jeremy Corbyn
25. Minute
Gratulation an May zum neuen Amt als Premierministerin, Anmerkungen zu Anschlag in Nizza und zum Putschversuch in der Türkei.
27. Minute
2006 habe das Verteidigungsministerium die Baukosten auf 20 Mrd. Pfund geschätzt. Aber seit dem vorigen Jahr – Wiederholung der May-Zahlen – sei die Rede von 31 bn Pfund plus 10 bn Reserven. Eine andere Quelle spreche von 167 Mrd. Pfund, und er habe Schätzungen von über 200 Mrd. Pfund gehört.
28. Minute: Schlagabtausch mit einem Tory-MP. Corbyn wirkt ungewöhnlich lebendig und spontan.
30. Minute: ein Tory-MP bringt seine koreanischen Wahlkreisbewohner ins Spiel. Wie wolle Corbyn denen seine Opposition gegen die Trident-Modernisierung vermitteln?
Corbyn: auch in seinem Wahkreis gebe es koreanische Wählerinnen und Wähler. Die Sechsparteiengespräche dienten dem Erreichen eines Friedensvertrags auf der koreanischen Halbinsel.
31. Minute
Im früheren Tory-Kabinett habe man im Übrigen im Mai 2009 die (kostengünstigere) Variante luftwaffengestützter Raketen anstelle der U-Boot-gestützten nuklearen Abschreckung diskutiert – mit der Bemerkung des früheren Tory-Verteidigungsministers Nicholas Soames, die öffentlich ausgetauschten öffentlichen Argumente rechtfertigten nicht die erforderliche Höhe der Ausgaben.
31. Minute
Was die Labour-Abgeordneten bei allen ihren Differenzen historisch eine: so sehr ihre Ansichten über die Wege dorthin auch auseinandergingen, so entschieden träten sie alle für eine nuklearwaffenfreie Welt ein. [Reaktion auf einige Spitzen May’s während ihres Statements bis Minute 24.]
Welche Bedrohungen wolle man mit einer angedrohten Million Toter pro Atomsprengkopf eigentlich abschrecken?
32. Minute
Islamic State betreibe ja just einen Todeskult. Saudi-Arabien, ein UK-Verbündeter, begehe furchtbare Akte im Jemen. Kriegsverbrechen in Jugoslawien und Saddam Husseins Gräueltaten, oder den Völkermord in Ruanda, habe die britische Abschreckung eben nicht abgeschreckt.
33. Minute
Er, Corbyn, – so offenbar in direkter Antwort auf Mays Ankündigung, sie würde den Atomschlag durchziehen – würde das jedenfalls nicht tun:
Mr Speaker, I make it clear today that I would not take a decision that kills millions of innocent people. I do not believe the threat of mass murder is a legitimate way to go about dealing with international relations.
Auch hier ein Echo aus den alten, bei BBC Radio 4 am Samstag, diskutierten schweren Entscheidungen (siehe oben, James Callaghan, die alte Plaudertasche).
38. Minute
Corbyn zitiert einen seinerzeit amtierenden Tory-Verteidigungsminister:
The former Conservative defense secretary Michael Portillo said – and he was the defense secretary -, „to say we need nuclear weapons in this situation would imply that Germany and Italy are trembling in their boots because they don’t have a nuclear deterrent.“
2. c. Mhairi Black, MP, Scottish National Party
3. Epilog
Abstimmungsergebnis: Mehrheit für Nuklear-Erneuerung – fast die ganze konservative Unterhausfraktion plus über die Hälfte der Labour-Abgeordneten.
We have but one choice. Ladies and Gentlemen: the Prime Minister:
Guten Morgen.
x
Erdogans Putsch
Ebenfalls zu diesem Thema: Morning Roundup, 19.07.16, by Auerbach
Schlafen sei „haram“, also religiös verboten, zitierte am Montag der Kurzwellensender „Stimme der Türkei“ den Ministerpräsidenten des Landes, Binali Yildirim. Bei allem revolutionären Elan allerdings ließ Yildirim das Bruttosozialprodukt nicht außer Acht: die Bürger sollten „am Tag arbeiten und am Abend die Wache für die Demokratie auf den öffentlichen Plätzen halten.“
Seit November 2002 wird die Türkei von der AKP regiert. Was linke politische Führer nicht konnten und neoliberale politische Führer nicht wollten, das schreiben viele Türken der AKP als Erfolg zu: eine Politik des sozialen Ausgleichs. Dabei gilt die AKP im Westen durchaus als neoliberale – und lediglich „sozial konservative“ – Partei. Auch mit der AKP, fand man in Brüssel, Berlin und Washington, ließen sich gute Geschäfte machen.
Vielleicht kommt man der scheinbaren Einheit Erdogans und des „nationalen Willens“ der Türkei näher, wenn man die Herkunft des Präsidenten ins Auge fasst: er kam aus der Unterschicht, und er war ein Aufsteiger. Jede Beleidigung gegen den Ministerpräsidenten – und es gab viele davon, just gegen Erdogan – wurde von einem Heer chronisch gekränkter Unterstützer an der Basis als Beleidigung des Türkentums interpretiert.
In den letzten Jahren seiner amtlichen Regierungszeit – faktisch regiert er bis heute, und das mit immer noch wachsender Machtfülle – verschleuderte Erdogan viel internationalen Respekt für die Türkei: mit seinem imperialistischen Engagement in Syrien, mit einer mehrjährigen, intensiv gepflegten Feindschaft mit Israel, mit einer türkischen Auto-Agression gegen die kurdischen Staatsbürger der Republik, oder mit einem wohl eher ungewollten Konflikt mit Russland. Und in der EU dürften nach dem Putsch vom 15. Juli, den Erdogan nun zu dem seinen macht, alle Illusionen über ein konstruktives Zusammenwirken mit der AKP-Türkei verflogen sein.
„Stimme der Türkei“ meldete am Sonntag,
Der Staatspräsident [Erdogan] sagte, die Putschisten seien innerhalb der türkischen Streitkräfte ein Tumor, der nun gesäubert wurde. Er dankte den Justizeinrichtungen, die Haftbefehle gegen diese Personen erlassen haben.
Wenn es stimmt, dass, wie heute von der britischen Nachrichtenagentur Reuters gemeldet, seit dem Putschversuch vom 15. Juli fast zwanzigtausend Angehörige der Polizei, des öffentlichen Dienstes, der Justiz und der Armee verhaftet oder unter Verdacht gestellt worden seien, dürfte einleuchten, warum Erdogan sich bei seinen Vollstreckern „bedankte“: von selbst verstehen sich diese Säuberungen nicht – jedenfalls nicht unter rechtsstaatlichen Voraussetzungen.
Dass Tausende von Konspirateuren Kenntnis von dem sich anbahnenden Putsch gehabt hätten, darf ebenfalls bezweifelt werden – unter solchen Voraussetzungen lässt sich ein solcher Coup lange vor seiner Ausführung unterbinden.
Es geht bei diesen Massenverhaftungen nicht um den unmittelbaren Putschverdacht. Es geht um das „richtige“ und das „falsche Denken“. Also in erster Linie um die Frage, ob die Verhafteten und Eingeschüchterten auf der Seite Erdogans stehen, oder auf der Seite Fethullah Gülens, dem die AKP die Urheberschaft des Putschversuchs anlasten möchte.
Das hat zwei Vorteile: zum einen sind Erdogan und Gülen, ursprünglich Weggefährten, seit Jahren in einem Streit miteinander verwickelt – Erdogan nimmt seine möglicherweise letzte Chance wahr, seinen mittlerweile zum Erzfeind geratenen Opponenten und seine Netzwerke in der Türkei zu schwächen.Und zum anderen kann mit diesem Mittel das türkische Miltär als unschuldig und allenfalls „unterwandert“ dargestellt werden – gerade so, als wären Militärputsche nicht Teil der türkisch-republikanischen Geschichte.
Auf diese militärische Unschuld zumindest haben sich offenbar auch die im türkischen Parlament vertretenen Parteien einigen können. Darin allerdings liegt auch einer der wenigen ermutigenden Punkte der vergangenen halben Woche: Erdogans Gegner halten zur türkischen Verfassung – noch gibt es zur AKP rechtsstaatliche Alternativen.
Dass Erdogan von vielen seiner Anhänger für die Verkörperung des Türkentums gehalten wird, wird kein Grund für alle Türken sein, dieser Täuschung zu verfallen. Aber auch – z. B. – Deutsche sollten sich vor einem solchen Irrtum in Acht nehmen.Die Bereitschaft in Deutschland, die Türkei als für Rechtlichkeit und Rechtsstaatlichkeit hoffnungslosen Fall abzuschreiben, ist erstaunlich weit verbreitet – und das ist ebenso irrational wie jene Art „Türkentum“, welches die AKP für sich monopolisieren möchte.
Erdogan allerdings will jetzt die ganze Macht. Entsprechend skrupellos handelt er – für die nächste Zeit müssen die Türkei und das Ausland mit schlimmen Szenarien rechnen.
Bewahrheiten sie sich, kann es dazu kommen, dass Türken in beträchtlicher Zahl Asyl in Deutschland suchen. In einem solchen Fall ist Großzügigkeit angesagt. Sollte eine pluralistische türkische Öffentlichkeit in der Türkei nicht mehr möglich sein. muss ihr Überleben im Ausland ermöglicht werden – im türkischen und im europäischen Interesse.
Morning Roundup: Stürme, Wellen, Farce
Heute:
- Labour-Kandidatenliste: Corbyn ist drin
- Cameron: Sing‘ zum Abschied leise Leck Mich
- Nach Spratly-Entscheidung: Keep Calm & Carry on
- US-Wahlkampf: Sanders unterstützt Clinton
- Bei Diander piept’s
- Die Schafsinseln und die Heuchler
- Anders abhören
Labour-Kandidatenliste: Corbyn ist drin
Jeremy Corbyn, amtierender Chef der britischen oppositionellen Labour-Partei, ist im Rennen: das National Executive Committee (NEC) stimmte gestern abend (Dienstagabend Ortszeit) mit 18 zu 14 Stimmen zu Corbyns Gunsten ab. Damit wird Corbyn als Amtsinhaber automatisch auf der Kandidatenliste stehen, über die die Labour-Basis abstimmen soll.
Sing‘ zum Abschied leise Leck‘ mich
David Cameron, Noch-Premier des Vereinigten Königreichs, übergibt heute abend die Amtsgeschäfte an seine Nachfolgerin Theresa May. Nachdem er das vorgestern ankündigte, verschwand er, ein Lied auf den Lippen, wieder hinter der Tür mit der Nummer 10 darauf. Der Politologe Anthony Glees wertete das in einem Deutschlandfunk-Interview als Statement, etwa so: Macht den Mist ohne mich.
Nach Spratly-Entscheidung: Keep calm and carry on
Hinsichtlich einer Teilgruppe der Spratly-Inseln nahe dem Scarborough-Riff, entschied gestern der Ständige Schiedshof in den Haag zugunsten der Philippinen – vergleiche Schiedshof entscheidet zugunsten der Philippinen, 12.07.16. Als ein „Affentheater von Anfang bis Ende“ habe der chinesische Außenminister Wang Yi das Verfahren beim Ständigen Schiedshof in den Haag bezeichnet, meldete gestern (Dienstag) die Deutschredaktion des Auslandsdienstes China Radio International (CRI). Xinhua zitierte Wang ähnlich, wenn auch noch etwas detaillierter: es handle sich „von Anfang bis Ende um eine politische Farce, mit dem äußeren Anschein des Rechts drapiert“, erboste sich demnach der gelernte Sprach– und Wirtschaftswissenschaftler.
Als „unverschämte Leugnung der territorialen chinesischen Souveränität und See-Interessen“ bezeichnete die halbamtliche „Huanqiu Shibao“, eine Zeitung mit relativ viel Interesse an internationalen Themen, die Entscheidung und stellt ihrer überdurchschnittlich nationalistischen Leserschaft die Folgen vor, die es hätte, wenn die Philippinen und Vietnam die Macht dazu hätten, die Haager Entscheidung anzuwenden und umzusetzen: nur noch die Philippinen und Vietnam würden danach über ökonomische Rechte verfügen, und China müsse sich mit allen ökonomischen und anderen Aktivitäten aus dem Gebiet zurückziehen.*) Dazu werde es freilich nicht kommen, da weder Chinas Regierung noch Chinas Öffentlichkeit diese Entscheidung akzeptieren würden. Die chinesische Öffentlichkeit solle ihre alltäglichen Angelegenheiten unverändert weiterverfolgen und sich durch „Stürme und Wellen, darunter auch geopolitische Provokationen“, nicht beeindrucken lassen.
Interessant ist der Verzicht darauf, die Partei zu erwähnen – üblich wäre die Redewendung „Partei und Staat“. Denkbar ist, dass auch der Nationalismus von Dissidenten und VR-Bürgern geweckt werden soll, die der Partei gegenüber innerlich, soweit möglich, längst „innerlich gekündigt“ haben. Hinzu dürfte kommen, dass Rückschläge in der Verfolgung der imperialistischen chinesischen Politik im südchinesischen Meer möglichst nicht auf die Partei zurückfallen sollen.
Über die juristische Stichhaltigkeit sowohl der Haager Entscheidung als auch über die Beijinger Position können sich Juristen offenbar ewig streiten – wobei laut BBC die Entscheidung des Ständigen Schiedshofes rechtlich bindend (wenn auch nicht vom Schiedshof durchzusetzen) ist.
Allerdings bewegt sich die chinesische Propaganda am untersten Ende des propagandistisch Möglichen: anstelle juristischer Argumente wird ein Hexenkessel abergläubischer Argumente zusammengerührt: seit zweitausend Jahren sei die Region chinesisch, es gebe entsprechende historische Seekarten, chinesische Schiffe seien dort vor allen anderen unterwegs gewesen, und außerdem, ähm, was für eine Unverschämtheit gegenüber China. Man muss schon ziemlich viel Beijinger Propaganda gegessen haben, um diese Art Suppe genießbar zu finden.
Eleganter verhält sich Taiwan, das ebenfalls Aktien in der Sache hat: Das Schiedsgericht habe die taiwanische Regierung nicht angehört oder in das Verfahren einbezogen, zitiert Radio Taiwan International (RTI) das Taiwaner Präsidialamt. Man habe also keinen Grund, sich zu den philippinischen Forderungen nach dem Schiedsspruch anders zu verhalten als vor dem Schiedsspruch.
Ende Januar hatte der bis Mai des Jahres amtierende taiwanische Präsident Ma Ying-jeou die Taiping-Insel besucht, die faktisch von Taiwan kontrolliert wird, dem Haager Schiedsspruch nach aber nun ebenfalls keinen rechtlich begründeten Anspruch darauf erheben kann, eine ausschließliche Wirtschaftszone zu sein. Im Ganzen ist der Ton aus Taipei gegenüber anderen ökonomisch aktiven Ländern in der Spratly-Region sachlicher und entspannter als der aus Beijing. Zwischenstaatliche Überzeugungsversuche waren aber natürlich von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
____________
*) This Blogger enthält sich mangels einschlägiger Kentnisse einer Einschätzung.
Bernie Sanders unterstützt Hillary Clinton
Bernie Sanders unterstützt Hillary Clintons Nominierung durch die Demokratische Partei. Vorher musste sich Clinton aber anhören, bei wem Sanders sich in einer Rede in New Hampshire für die Stimmen bedankte, die er im Nominierungswahlkampf erhalten hatte, lächeln, und applaudieren.
Aber das war eine leichte Übung im Vergleich zu dem, was seine Anhänger sich anhören mussten – und nicht alle lächelten und applaudierten.
Bei Diander piept’s
Ein Rotschwanz-Paar zieht als Kulturfolger sechs Jungvögel auf – auf einem Balkon. Die Story einer Begegnung schreiender Wildnis mit der Welt der Zivilisation.
Die Schafsinseln und die Heuchler
Man muss das vielleicht erstmal dazusagen, denn dass Faröer auf Deutsch „Schafsinseln“ heißt, wusste ich jedenfalls nicht. Sven Kerkof kritisiert den Boykott der Kreuzfahrtunternehmen AIDA und Hapag Lloyd gegen die Inseln. Anlass der Enthaltsamkeit ist die Grindwaljagd, die auf den Inseln Brauch ist, aber eben nicht auf dem europäischen Festland.
Damit werde vor allem unter Beweis gestellt, wie unehrlich Tierschützer sein können, findet Kerkof.
Anders Abhören
Die Deutschen haben so viel Angst wie lange nicht mehr, berichtete gestern abend (Dienstagabend) die „Rheinische Post“ unter Berufung auf zwei Umfragen – eine der R+V-Versicherung (machen die selber welche?) und eine des amerikanischen Pew Research Center.
Dabei war’s vor zwei Jahren noch so schön, jammert findet die „RP“, als Deutschland Weltmeister wurde:
Frauen und Männer konnte man dabei beobachten, wie sie sich mit schwarz-rot-goldenen Streifen auf den Wangen in die Arme fielen und sogar Tränen vergossen – vor Freude. Das Land erlebte einen seltenen, kollektiven Moment der Freude.
Naja. Manchmal habe ich ja auch Angst. Vor meinem eigenen Spaßzombieland.
Was soll’s. Immerhin passt man gut auf uns auf. Buten und binnen. Wenn ich das nicht ganz falsch verstehe, dürfen die Geheimdienste, die uns nach innen schützen, dann die ausländischen Bundeswehrangehörigen anders abhören als ihre inländischen Kameraden.
Guten Morgen.
x
Morning Roundup: Aufregen, Hals kriegen, Abschwellen
- Fußball-EM: DFB-Mannschaft raus, alles aus
- Böser Fußball, guter Fußball: Nationalpatrioten
- Guter Fußball, böser Fußball: Chauvis
- Zukunftsfähigkeit der Sozialsysteme
- Prime Minister’s Questions: Nullstundenverträge
- Filmreif (Argentinien)
- Schlechtes Drehbuch (Russland)
- Warschauer NATO-Gipfel
- NATO-Russland-Rat
Jetzt ist alles aus!
Für manche Zuschauer im Stadion und zu Hause an den Fernsehgeräten oder in der Fanzone könnte es daran gelegen haben, dass die deutschen Tugenden nicht genug zum Tragen kamen, weil zu viele „Ausländer“ mitgespielt haben. Für andere könnte es daran gelegen haben, dass nicht genug „Menschen mit Migrationshintergrund“ mitgespielt haben. Und für wieder andere – tendenziell die mit den deutschen Tugenden – könnte es daran gelegen haben, dass es inzwischen sogar schon Frauenfußball gibt. Der versaut die Moral. Im folgenden für alles mindestens ein Beispiel.
Böser Fußball, guter Fußball: Nationalpatrioten
Langer Rede kurzer Sinn: Ist der Fan ein Nationalpatriot mit Vorurteilen, ist er es nach dem Fahneschwenken noch mehr. Ist er keiner, ist sein Fahneschwenken kein Problem.
Nur nützen tut’s nie.
Guter Fußball, böser Fußball: Chauvis
Das nur mal für die Männer, die meinen, sie wären schon immer im Widerstand dafür gewesen.
Na? Haben Sie gelacht? Hand auf’s Herz. Nicht lügen, ganz ehrlich jetzt. Geben Sie’s zu? Geben Sie’s zu? Haben sie gelacht?
SPD-Linke: Zukunftsfähigkeit der Sozialsysteme
Zwischen der Parteilinken und Arbeitsministerin Andrea Nahles bahnt sich Zoff an, und Parteivorsitzer Gabriel pariert.
Ob Matthias Miersch auch diese unterschiedlichen Stimmungen aufnehmen und integrieren kann?
Prime Minister’s Questions, 6. Juli: Nullstundenverträge
Corbyn: Das Problem besteht darin, dass, wenn jemand in einem Nullstundenvertrag arbeitet, der Mindestlohn nicht für einen Wochenlohn zum Leben genügt. Das muss der Premierminister verstehen. Darf ich ihm die Lindsey-Ölraffinerie nordöstlich von Shirebrook vorstellen? 2009 streikten dort hunderte von Ölwerkern, weil agency workers aus Italien und Portugal zu niedrigeren Löhnen hereingebracht wurden, um die selbe Arbeit zu tun. Ein bisschen weiter die selbe Straße runter, in Boston, ist Niedriglohn endemisch. Der durchschnittliche Stundenlohn im Land ist 13,33 Pounds. In den East Midlands beträgt er 12,26 und in Boston 9,13 Pfund. Ist es nicht an der Zeit, dass die Regierung interveniert, um für die Gemeinschaften einzutreten, die sich im modernen Britannien zurückgelassen fühlen?
The problem is that if someone is on a zero-hours contract, the minimum wage does not add up to a living weekly wage; the Prime Minister must understand that. May I take him north-east of Shirebrook to the Lindsey oil refinery? In 2009, hundreds of oil workers there walked out on strike because agency workers from Italy and Portugal were brought in on lower wages to do the same job. Just down the road in Boston, low pay is endemic. The average hourly wage across the whole country is £13.33. In the east midlands, it is £12.26; in Boston, it is £9.13. Is it not time that the Government intervened to step up for those communities that feel they have been left behind in modern Britain?
Cameron: Wir haben mit dem Mindestlohn interveniert. Wir haben mit mehr Strafen für Unternehmen interveniert, die nicht den Mindestlohn zahlen. Wir haben – und das erstmals, was Labour nie tat – wir prangern die daran beteiligten Unternehmen namentlich an. Diese Interventionen helfen und ergeben einen Unterschied, aber die wirkliche Intervention, die wir brauchen, ist eine Wirtschaft, die wächst und die Investitionen ermutigt, denn wir wollen die Industrien der Zukunft. Das ist, was in unserem Land zu sehen ist, und das ist der Grund für Rekordzahlen an Beschäftigten – 2,5 Millionen mehr Menschen haben einen Job seit ich Premierminister wurde – und das ist der Grund, warum die britische Wirtschaft eine der stärksten der G7-Staaten ist.
We have intervened with the national living wage. We have intervened with more fines against companies which do not pay the minimum wage. We have intervened, and for the first time—this is something Labour never did—we are naming and shaming the companies involved. Those interventions help and can make a difference, but the real intervention that we need is an economy that is growing and encouraging investment, because we want the industries of the future. That is what can be seen in our country and that is why record numbers are in work—2.5 million more people have a job since I become Prime Minister—and why the British economy has been one of the strongest in the G7.
Filmreif (Argentinien)
Die frühere argentinische Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner wird beschuldigt, in ihren letzten Amtsmonaten betrügerische Währungsgeschäfte durchgeführt zu haben, meldete gestern die BBC. Im Mai wurde Anklage wegen mutmaßlicher oder angeblicher regelwidriger Zentralbankgeschäfte an der US-Dollar-Terminbörse gegen sie erhoben.
Sie wies die Vorwürfe zurück und beschuldigte ihrerseits die Mitte-Rechts-Regierung ihres Nachfolgers Mauricio Macri, gegen sie zu konspirieren. Cristina Fernandez war bis Dezember vergangenen Jahres Präsidentin Argentiniens. Gegen einige ihrer engsten früheren Mitarbeiter, werde wegen falscher Handhabung öffentlicher Mittel ermittelt, so die BBC.
Einer von ihnen, Jose Lopez, stehe unter dem Verdacht der Geldwäsche, seit er – im Besitz von neun Millionen US-Dollar dabei angetroffen worden sei, wie er Plastiktaschen mit Bargeldüber die Mauer eines Klosters warf. Insgesamt sei er im Besitz von etwa sieben Millionen US-Dollar gewesen, so eine frühere Meldung der BBC.
Der mit den Ermittlung beauftragte Bundesrichter Claudio Bonadio sei ein erklärter Gegner der früheren Präsidentin.
Die BBC zitierte den Kabinettschef Präsident Macris mit der Bemerkung, „es ist wie aus einem Film“.
In den vom Internationalen Konsortiums Investigativer Journalisten (ICIJ) im April veröffentlichten „Panama Papers“ war Präsident Macris Name aufgetaucht. Er werde mit jedweder Untersuchung zusammenarbeiten und habe nichts zu verbergen, so der Präsident in einer seinerzeitigen Meldung der BBC.
Die Untersuchung dauert laut „Buenos Aires Herald“ an.
Schlechtes Drehbuch (Russland)
Auch in Moskau wurde ein Politiker im mutmaßlichen Besitz von viel Bargeld verhaftet. Der „Economist“:
Es sah aus wie eine Szene aus einem Krimi. Erst die Bilder eines kräftigen russischen Gouverneurs, in einem Sushi-Restaurant eines mondänen Moskauer Hotels mit Bündeln besonders gekennzeichneter Euroscheine erwischt, die fluoreszierende Flecken auf seinen Händen hinterließen. Dann Fotos des selben Gouverneurs in Handschellen, abegführt von Kalashnikov-schwenkenden, sturmhaubengepanzerten Agenten des FSB, Russlands Geheimpolizei. Die Verhaftung Nikita Belykhs, des liberal gesonnenen Gouverneurs der Region Kirovsk am 24. Juni, war eine Schlagzeilenmeldung des russischen Staatsfernsehens. Er ging sogar dem Bericht über den triumphalen China-Besuch Vladimir Putins voraus.
IT LOOKED like a scene from a crime drama. First, the pictures of a burly Russian governor caught at a sushi restaurant in a swanky Moscow hotel, with wads of specially marked euros leaving fluorescent stains on his hands. Next, footage of the same governor in handcuffs, being escorted into the investigator’s office by balaclava-clad, Kalashnikov-wielding agents of the FSB, Russia’s secret police. The arrest on June 24th of Nikita Belykh, the liberal-minded governor of the Kirovsk region, was headline news on Russian state television. It even preceded the report on Vladimir Putin’s triumphal visit to China.
Belykh behaupte, es handle sich um ein abgekartetes Spiel, so der „Economist“, und Kirill Rogov, ein russischer politischer Analytiker, wird mit der Aussage zitiert, es handle sich bei der dritten Verhaftung eines Gouverneurs binnen fünfzehn Monaten „um die neue Art des Kremls, Kontrolle über regionale Eliten auszuüben“.
[…]
Die Verfolgung inländischer Feinde und die Säuberung der Reihen örtlicher Gouverneure und Offizieller könnte die Art sein, in der der Kreml dem Publikum [nach der Ukraine und Syrien] eine neue Story gibt. In dem Video der Verhaftung Belykhs, das die Staatsanwaltschaft freigab (bevor es hastig wieder vom Netz genommen wurde), wird eine Stimme hinter der Kamera vernehmlich die sagt: „Wir haben schon das Drehbuch geschrieben.“ Mr Belykh erwidert: „Ihr habt es schlecht geschrieben.“
Pursuing internal enemies and purging the ranks of local governors and officials may be the Kremlin’s way of giving audiences a fresh storyline. In a video of Mr Belykh’s arrest which the prosecutor’s office released (before hurriedly taking it down), a voice behind camera can be heard saying: “We’ve already written the script.” Mr Belykh replies: “You wrote it badly.”
Warschauer NATO-Gipfel
Die NATO-Mitgliedsstaaten sowie voraussichtlich Afghanistan, Finnland, Irland, Mazedonien, Montenegro, Schweden und die Ukraine halten am Freitag und Samstag ein Gipfeltreffen in Warschau ab. Polens Präsident und Gastgeber des Gipfels, Andrzej Duda, erklärte bereits im August vorigen Jahres in einem – hier durch AP wiedergegebenen – Interview mit der polnischen Nachrichtenagentur PAP, er erhoffe sich vom Gipfel eine Verstärkung der Präsenz des Bündnisses in Polen und über eine ganze Region hinweg, die sich durch ein „wiederauflebendes“ Russland bedroht fühle. Als Opponenten gegen solche NATO-Stationierungsbestrebungen erwähnte er laut AP namentlich Deutschland.
Und die polnischen Erwartungen bleiben groß – oder werden zumindest öffentlich derart vorgetragen. Der Warschauer Gipfel werde die „Ostflanke“ stabilisieren, die Position der NATO in Gesprächen mit Russland stärken, und einen russischen Rückzug aus den Gebieten bewirken, die Russland illegal von der Ukraine genommen habe, zitierte Radio Poland am vorigen Freitag den Außenminister des Landes, Antoni Macierewicz.
NATO-Russland-Rat
Wenn dann Polen mit Hilfe der NATO den Russen gezeigt hat, wer der Boss ist, darf der Russe am 13. Juli in Brüssel die Kapitulationsurkunde unterschreiben – bei einem Treffen des NATO-Russland-Rates.
Da soll nochmal jemand behaupten, die Musik spiele jetzt in Asien.
Guten Morgen.
x
Ukraine: Propagandakrieg um die Hardware
Der ukrainische Präsident Petro Poroshenko besuchte am Dienstag den Karachunberg in der Donezk-Region, meldete die präsidiale Website. Neben einer Totenehrung besuchte Poroshenko die Sendestation Kramatorsk, ebenfalls auf dem Karachunberg. Die Radio- und Fernsehsendeanlage sei während der Besetzung von Sloviansk und Kramatorsk durch „pro-russische Terroristen“ zerstört worden. Ihr Wiederaufbau sei eine Aufgabe von nationaler Bedeutung, zitierte die Website den Präsidenten um 13:45 Uhr (12:45 MESZ).
In einer um 15:57 Uhr Lokalzeit geposteten Meldung hieß es, anlässlich des zweiten Jahrestags der Befreiung von Sloviansk und Kramatorsk müsse der vor zwei Jahren zu Fall gebrachte Gittermast (im allgemeinen Sprachgebrauch ein „Fernsehturm“) binnen zwei Monaten wieder aufgebaut werden. Die feindliche Artillerie habe vor zwei Jahren auf den Fernsehturm gezielt, weil er als größte Bedrohung angesehen worden sei:
„Sie fürchteten am meisten den Fernsehturm, dafür, dass er die Wahrheit über den Krieg sendete. Wir sind dahin übereingekommen, dass er in zwei Monaten wieder aufgebaut wird,“ merkte der Präsident an. Petro Poroshenko hob die Unzulässigkeit von Verzögerungen in jener Sache hervor.
„Es ist das Recht der Menschen auf die Wahrheit. Und wir müssen dieses Recht verteidigen,“ betonte der Präsident und fügte hinzu, das gegebene Recht gehöre allen Bewohnern des Donbas, inklusive den zeitweilig besetzten Gebieten.
Das Staatsoberhaupt hob hervor: Hybrider Krieg, von dem wirklichen, dem offenen Krieg, abgesehen, enthält eine starke Informationsuntergrabung. Wir werden das nicht zulassen.“
Das Erste Russische Fernsehen berichtete offenbar am 1. Juli 2014 über den Einsturz des Sendemastes.
Der amerikanische Botschafter bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) übte bereits am 3. Juli 2014 Kritik, die inhaltlich etwa dem entsprach, was Poroshenko – vermutlich auch nicht zum ersten Mal – am vorigen Dienstag zur „Informationsuntergrabung“ äußerte. Der Angriff, so Botschafter Daniel B. Baer in einer Erklärung an den Ständigen Rat der Organisation in Wien, habe in Zusammenwirkung mit einem von Russland und seinen Unterstützern geführten Propagandakrieg stattgefunden, um einen „freien Fluss von Nachrichten, Informationen und einer Bandbreite von Sichtweisen daran zu hindern, die Menschen zu erreichen, und sie anfälliger für Lügen und Manipulationen zu machen.“
Vom 17. April bis Anfang Mai 2014 sollen die Sendeanlagen unter Kontrolle von Separatisten gewesen sein. Laut RT wurden danach einige der bis dahin gesendeten ukrainischen Kanäle durch russische ersetzt.
Der „Guardian“ zitierte den ukrainischen Innenminister Arsen Avakov am 2. Mai 2014 mit der Aussage (oder einem Facebook-Vermerk), ukrainische Truppen hätten die Sendeanlagen auf dem Karachunberg von prorussischen Separatisten zurückerobert. Er strahle nunmehr wieder ukrainische Kanäle aus, wurde der ukrainische Innenminister Arsen Avakov in der „Moscow Times“ / bei Interfax zitiert.
Die Kämpfe um den Karachunberg und die Sendeanlagen waren Teil der Kämpfe um Kramatorsk, vom 12. April bis zum 5. Juli 2014.
Wer die Sendeanlagen zur Zeit der Zerstörung tatsächlich kontrollierte (und wer sie beschoss), wurde in einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ am 1. Juli 2014 nicht ausdrücklich gesagt. Die Moskau-Korrespondentin der „Welt“ legte sich hingegen fest: der Sendemast sei nach einem Beschuss von Separatisten eingestürzt.
Morning Roundup: Aufstand des Labour-Establishments
Heute:
- Aufstand des Establishments
- Wahlzettel: erst die Nominierung
- Lexit?
- Der Äther: „Juno“ erreicht Jupiter
- Taiwanische Marine beschießt Fischerboot
- Tories wählen neue Führung
- UKIP: Farage steigt aus
- Top Gear: Chris Evans steigt aus
- 100 Jahre Olivia de Havilland
Aufstand des Labour-Establishments
Wahrscheinlich liegt das Problem der Corbyn-Gegner in der Labour-Partei nicht zuletzt darin, dass sie ein Problem mit der Parteibasis haben – jedenfalls, wenn diese Basis nicht nur nominell, sondern faktisch, wichtige Personalentscheidungen trifft.
Im Sommer 2015 zeichnete sich eine Basismehrheit für Jeremy Corbyn ab. Und dabei hätte man ihn so schön verhindern können, mit etwas mehr Zynismus in der Parlamentsfraktion.
Ein Parteimanager wie John McTernan – eng verbunden mit dem früheren Irakkriegspremier und „New-Labour“-Advokaten Tony Blair und nicht direkt ein Feind der Steuerhinterziehung als geistige Lebensform – fand so viel Respekt vor der Basiswahl jedenfalls schon vor einem Jahr beunruhigend. Und wenn dann auch noch Parlamentarier einer solchen Deprofessionalisierung der Parteipolitik Vorschub leisteten, konnte so ein cooler Stratege schon mal die Contenance verlieren: die Abgeordneten, die Corbyns Nominierung unterstützt hatten, um ein breites Spektrum von Positionen in der Partei abzubilden, seien „Deppen“, befand McTernan.
Und mindestens eine der Abgeordneten – ganz erschrocken über die Dynamik an der Parteibasis – gab ihm Recht.
Seitdem haben noch mehr frühere Corbyn-Nominierer Zweifel an ihrer Entscheidung vor einem Jahr. Und da es sich heutzutage nicht mehr gehört, mal für zwei bis vier Jahre die Zähne zusammenzubeißen und einen demokratisch gewählten Parteichef zu ertragen, lässt man die Zweifel so lange öffentlich raushängen, bis offener Antagonismus daraus wird.
Würden ein paar Leute vom linken Flügel der Labour-Partei sich gegen einen etablierten Funktionär erlauben, was sich die Hälfte des Schattenkabinetts gegen Corbyn erlaubte, würde man von parteischädigendem Verhalten sprechen. Aber in einer Post-Blair-Demokratie hängt es natürlich ganz entscheidend davon ab, wer sich etwas gegen wen erlaubt.
Will Corbyn gewinnen, muss er erst einmal auf den Wahlzettel
Dass Corbyn als Parteiführer herausgefordert wird (sofern er nicht zurücktritt), ist zwar noch nicht ausgemacht; gilt aber als sehr wahrscheinlich, nachdem ihm am vorigen Donnerstag 172 von 229 Mitgliedern seiner Unterhausfraktion das Misstrauen ausgesprochen hatten, bei nur 40 Stimmen zu seinen Gunsten, 13 Enthaltungen und vier ungültigen Stimmen. Das Votum hatte zwar keine bindende Wirkung; seine Gegner erwarteten aber offenbar von Corbyn, dass er zurücktrete – wovon Corbyn weit entfernt ist.
51 der zur Zeit 251 Labour-Abgeordneten in Unterhaus und EU-Parlament (entspricht 50% all dieser Abgeordneten) [Update, 07.07.16: gestrichen. So ein Quark. Liest das keiner, oder kann keiner Mathe?] muss ein Herausforderer hinter sich bringen, um Corbyn herauszufordern. Angela Eagle, die ebenfalls als Mitglied des Schattenkabinetts zurückgetreten ist, hat ihre Kandidatur für den Fall angekündigt, dass Corbyn nicht einpacke.
@Peston @jeremycorbyn The #EagleIsStranded pic.twitter.com/dqlA0WQzFY
— Manda Scott (@hare_wood) 4. Juli 2016
//platform.twitter.com/widgets.js
Gefühlt wartet so mancher schon sehr lange auf Eagles Kampfkandidatur.
Sollte Corbyn jedoch zurücktreten, benötigt ein Nominee für die Parteiführung die Unterstützung von 20% 15% der Abgeordneten.
Und die Nominierten würden sich dann einer Abstimmung der Parteibasis stellen.
Manches spricht dafür, dass die meisten Abgeordneten und andere Angehörige des Parteiestablishments Corbyn praktischerweise vorher loswerden möchten – denn der verfügt nach wie vor über eine erhebliche Unterstützung an der Basis.
Braucht Corbyn, um seine Parteiführung zu verteidigen, ebenfalls – wie ein Herausforderer oder eine Herausforderin – die Unterstützung von 51 Unterhaus- und EP-Abgeordneten? Der frühere Parteichef Neil Kinnock und der frühere stellvertretende Premierminister John Prescott hätten es jedenfalls gerne so. Da nur 40 MPs beim Misstrauensvotum der Fraktion gegen Corbyn zu ihrem amtierenden Chef standen, spekulieren die beiden Altvorderen offenbar darauf, dass sich womöglich keine 51 Unterstützer für seine Nominierung finden würden.
Lexit?
Der „Economist“ beschreibt die Situation in seiner aktuellen Ausgabe so:
Ob Mr Corbyn überlebt, hängt davon ab, ob er es auf den Stimmzettel schafft. Ohne Nominierungen seiner Abgeordneten liegt seine Hoffnung darin, dass die Parteijuristen auf einen automatischen Platz für ihn darauf entscheiden (die Regeln sind vage). Wenn er diese Hürde schafft, könnte er gewinnen. Das würde sicherlich eine förmliche Parteispaltung auslösen, bei der moderate Parlamentsmitglieder sich für unabhängig erklären und ihren eigenen Führer wählen.
Whether Mr Corbyn survives depends on whether he makes the ballot. Without nominations from his MPs, his best hope is that the party’s lawyers will rule that he has an automatic place on it (the rules are vague). If he clears this hurdle he may win. That would surely produce a formal split, with moderate MPs declaring independence and electing their own leader.
Möglicherweise geht es also auch ohne große Unterstützung aus der Fraktion – da nur 40 MPs Corbyn vorige Woche ihr Vertrauen aussprachen, stellt sich sicherlich die Frage, warum ihn noch 51 MPs für die Basiswahl nominieren sollten – höchstens, wie vor einem Jahr, aus Respekt vor der ganzen Breite des Meinungsspektrums der Partei.
Dann hat Corbyn eine echte Chance. Gewinnt er tatsächlich – und behält der „Economist“ bei seiner Prognose der Konsequenzen daraus recht -, folgt dem Sieg Corbyns dann allerdings der „Lexit“: die „Moderaten“ Members of Parliament verlassen die Labour-Fraktion.
Der Äther
Die Weltraumsonde „Juno“ ist heute früh (MESZ) in die Umlaufbahn des Jupiter eingetreten. „Roger, Juno, welcome to Jupiter“, lautete die Ansage der Weltraumflugkontrollstation in Pasadena, Kalifornien – gerade so, als wäre sie schon vor der Sonde dort angekommen.
Laut Ortszeit schaffte „Juno“ es noch am Independence Day, dem amerikanischen Unabhängigkeitsfest am 14. Juli. Ziel der Mission: herauszufinden, wie dieser größte Planet des Sonnensystems entstanden ist, zitiert die „Welt“ den Mitarbeiter eines Düsentrieblabors.
Welcome to Quackalot. Ain’t science something?
Taiwanische Antischiffsrakete trifft taiwanisches Fischerboot
Nach dem Beschuss eines taiwanischen Fischereibootes durch eine taiwanische Korvette, mit einer Hsiung-Feng-III-Rakete, wirft in der öffentlichen Debatte Fragen danach auf, wie effizient oder ineffizient das Militär eigentlich geführt werde. Der Kapitän des Fischereibootes kam beim Einschlag der Rakete ums Leben.
Laut Verteidigungsministerium ereignete sich mit dem Aufschlag keine Detonation, weil der Aufschlag dafür nicht hart genug gewesen sei.
Tories wählen neue Führung
Die Konservative Partei Großbritanniens sucht einen neuen Partei- und Regierungschef. Vergleiche „Morning Roundup“, 04.07.16, Tories suchen Cameron-Nachfolger. Schafft Theresa May es ein Kandidat oder eine Kandidatin in der ersten Runde auf eine absolute Mehrheit in der konservativen Unterhausfraktion, ist sie auch ohne Mitwirkung der Parteibasis gewählt. Ansonsten stimmen die Parteimitglieder im ganzen Land über die letzten zwei Kandidaten ab, die die Unterhausfraktion im Ausschlusswahlverfahren übriglässt. Wer Parteiführer wird, übernimmt traditionell auch das Amt des Premierministers.
[Update/Korrektur, 05.07.16, 21:45 MESZ: Theresa May erhielt zwar heute die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen – 165 von 329 -; die Wahlen gehen aber gleichwohl weiter, bis der Basis die zwei bis zuletzt verbliebenen Kandidaten zur Mitgliederwahl präsentiert werden können.]
UKIP: der Mann in der Kneipe steigt aus
Nigel Farage, oberster Mund der United Kingdom Independence Party, findet, dass er alles erreicht habe, was zu erreichen war. Nachdem er „sein Land zurückbekommen“ hat, will er jetzt „sein Leben zurückbekommen.
Seine Stärke sei sein „Mann-in-der-Kneipe“-Image, im Kontrast zu der Art und Weise, in der viele Kollegen aus den anderen Parteien sich an die Skripte ihrer jeweiligen Parteien hielten, schreibt die BBC.
Top Gear: Chris Evans steigt aus
Nach vergleichsweise enttäuschenden Zuschauerquoten verlässt der gerade erst eingestiegene Chefansager Chris Evans die Motorshow jetzt wieder. Dem Team sei es offenbar nicht gelungen, eine vergleichbar unbekümmerte zwischenmenschliche Atmosphäre zu schaffen wie die vorherige dreiköpfige Mannschaft, notiert Lizo Mzimba, BBC-Fachmann für die Unterhaltungsindustrie. Die Art und Weise, in der Jeremy Clarkson, Richard Hammond and James May einander anpieksten und auf den Arm nahmen, sei jedoch mindestens so wichtig gewesen wie die Automobil-Aspekte der Erfolgsserie.
Und Olivia de Havilland wurde am 1. Juli einhundert Jahre alt.
Herzlichen Glückwunsch und guten Morgen.
x
Letzte Kommentare