Morning Roundup: „Ein treuer Schüler Gerhard Schröders“
Weitreichende Reformen, Streben nach ökonomischer Hegemonie
Indien habe weitreichende Reformen in seinen Regelwerken für direkte Auslandsinvestitionen angekündigt, meldete am Montagabend (Weltzeit) All India Radio. Der britische „Guardian“ geht ins Detail: sowohl Luftwaffenproduktion als auch zivile Luftfahrt sollen zu hundert Prozent in ausländischem Eigentum sein dürfen, und auch in der Medikamentenherstellung und im Einzelhandel sollen bisherige Investitionsbeschränkungen zumindest gelockert werden.
Zwei „Denkfabriken“, das China Institute for Reform and Development (Hainan, China) und das Center for European Policy Studies (CEPS, Brüssel), haben für die chinesisch-europäischen Wirtschaftsbeziehungen ebenfalls Ehrgeiziges im Sinn: ein Freihandelsabkommen zwischen den beiden Wirtschaftsräumen, und einen konkreten Fahrplan zu diesem Ziel.
In Deutschland allerdings – neben Großbritannien wohl das einzige „große“ EU-Land mit einem starken Interesse an „freiem Handel“, werden mittlerweile strategische Interessen geäußert, die Beijing als protektionistisch einsortieren wird, und die im Zusammenhang mit dem Interesse des chinesischen Midea-Konzerns am deutschen Roboterhersteller Kuka (Augsburg) von der deutschen Politik zunehmend deutlich thematisiert werden*):
Zwar unterstelle man dem Kuka-Investor nicht per se unlautere Absichten, hieß es in Regierungskreisen. Der Fall verdeutliche aber grundsätzlich die wachsende Anfälligkeit offener Märkte. Einzelnen Investoren müsse man ein Streben nach „ökonomischer Hegemonie“ unterstellen. Das gelte insbesondere für bestimmte Staatsfonds, aber auch für Unternehmen, die mit massiver Unterstützung ihres Heimatlands agierten,
schrieb das „Handelsblatt“ in seiner Wochenendausgabe.
*) vergl. „Morning Roundup“ vom 13.06.16, Subtitel Politikmagazin warnt vor Euphorie.
Taiwans Kommission für die Mongolei und Tibet
Vor weitreichenden Reformen steht womöglich auch die Republik China, besser bekannt unter dem Namen Taiwan. Es geht um die Zukunft der Kommission für die Mongolei und für Tibet. Die offizielle Landkarte der Republik China sieht bis heute so aus.
Sollte die Kommission allerdings tatsächlich umverteilt werden, wird sich das im Taiwaner Alltagsleben kaum bemerkbar machen.
Sommeranfang
Heute beginnt der kalendarische Sommer, und ab morgen werden die Tage wieder kürzer.
Keine Klassen, nur Liberale: Paul Nolte ruft zum „Schulterschluss“ auf
Paul Nolte, Historiker an der FU Berlin, beschreibt in einem Interview mit dem Schweizer „Tagesanzeiger“ die quasi-revolutionäre deutsche Unruhe als einen Konflikt zwischen Systemvertrauern und Systemverächtern, wobei sich die einen in der Mitte und die anderen an den Rändern sammelten. Der Kreisvergleich ist mindestens insofern passend, als „links“ und „rechts“ bei den Systemverächtern keine verlässlich zutreffenden Kategorien zu sein scheinen. (In der „Mitte“ ohnehin nicht.)
Auf die Frage, was „einfache Bürger“ tun sollten, reagiert Nolte mit einer Art Aufruf:
Wir Liberalen müssen wieder stärker den Mut haben, zu unserem System zu stehen, den Populisten klar zu widersprechen und ihr Weltbild nicht einfach hinzunehmen. Widersprechen heisst nicht ausgrenzen, sondern sich auseinandersetzen, aber beharren.
Klassenkonflikte sieht Nolte offenbar nicht, und der „Tagesanzeiger“ hakt bei seiner ursprünglichen Frage nach den Optionen oder Pflichten einfacher Bürger auch nicht mehr nach.
Dabei dürfte Nolte die Existenz von Klassen nicht unbekannt sein. Aber ein Essay, den er vor mittlerweile fast dreizehn Jahren in der „Zeit“ veröffentlichte, war erstaunlich vage, wenn es um die Benennung von Ursachen für die „kulturellen Wurzeln der Verwahrlosung“ der Unterschichten ging. Leseprobe:
Wir stehen vor einem Neubeginn, einem Paradigmenwechsel im politischen Umgang mit den Unterschichten. Wir sind zu lange einem Konzept gefolgt, das man als „fürsorgliche Vernachlässigung“ bezeichnen könnte. Einer vergleichsweise hohen materiellen Fürsorge der Unterschicht steht eine Vernachlässigung in sozialer und kultureller Hinsicht gegenüber. Das Ziel muss es wieder sein, Kulturen der Armut und der Abhängigkeit, des Bildungsmangels und der Unselbstständigkeit nicht sich selbst zu überlassen, sondern sich einzumischen, sie herauszufordern und aufzubrechen. Es geht um Integration in die Mehrheitsgesellschaft, aber auch – für viele ein heikleres Thema – um die Vermittlung kultureller Standards und Leitbilder.
Bei solchen Sülzkaskaden reichte es nicht einmal für eine klare Diagnose. Dafür landete der Verfasser mit aber einem großen Sprung nach vorn sogleich bei der Diskussion mehr oder weniger konkreter Maßnahmen. An dieser Herangehensweise hat sich offenbar nicht viel geändert.
Steinmeier „ein treuer Schüler Schröders“
Steinmeier macht was mit Frieden, und im kriegslüsternen Polen kommt das nicht überall gut an:
Steinmeiers Worte sorgen für Eklat, schreibt der deutschsprachige Dienst des polnischen Auslandsradios unter Verwendung von Material unter anderem von „Reuters“ und der Zeitung „Gazeta wSieci“. Hierbei kommt Piotr Cywiński zu Wort, ein Journalist und zeitweiliger Deutschland-Korrespondent, der laut Wikipedia unter anderem auch die Bundeskanzler Schmidt, Kohl und Schröder interviewte*):
Für den langjährigen Deutschlandkenner Piotr Cywiński, sind die Worte Steinmeiers keine Überraschung. Außenminister Frank-Walter Steinmeier, ist ein treuer Schüler von Ex-Kanzler Gerhard Schröder, der wiederum stolz darauf ist, ein enger Freund Putins zu sein. Beide werden in Moskau als Verbündete angesehen, schrieb Cywiński in seinem Artikel für das Wochenmagazin wPolityce.pl.
Noch aber ist die gute deutsch-polnische Nachbarschaft nicht in der Tonne: 32 Prozent der in einer Umfrage der Tageszeitung „Rzeczpospilita“ befragten Polen betrachten Deutschland als den „besten Verbündeten Polens in der EU“. Ungarn folgt auf Platz 2; Großbritannien auf Platz 3.
Allerdings, so „Rzeczpospolita“ (wiedergegeben durch das polnische Auslandsradio), werde Deutschland vor allem von Anhängern liberaler Parteien so positiv gesehen. Unter den Unterstützern der regierenden PiS-Partei betrachteten nur neun Prozent Deutschland als wichtigen Partner.
*) Wenn ich „Google Translate“ nicht falsch interpretiere – JR.
Trump reorganisiert Wahlkampfteam
Donald Trump, den Delegiertenstimmen nach wahrscheinlicher Präsidentschaftskandidat der US-Republikaner, entlässt Corey Lewandowski, seinen Wahlkampfmanager. Damit reagiert er laut „New York Times“ auf Bedenken von Parteifunktionären und finanziellen Unterstützern seiner Wahlkampagne hinsichtlich der Arbeit Lewandowskys. Es wird erwartet, dass Lewandowskis Pflichten – mit oder ohne ausdrückliche Erklärung – auf Trumps strategischen Planer Paul Manafort übergehen.
Mitgehangen, mitgefangen: Schottland und der Brexit
Solle das Referendum in Großbritannien übermorgen (am Donnerstag) eine Entscheidung für einen Austritt aus der EU treffen, stünde Schottland vor der Frage, ob es das Vereinigte Königreich verlassen und der EU beitreten wolle, so Detlef Drewes, freier Korrespondent in Brüssel, in einem Beitrag unter anderem für die Oldenburger „Nordwestzeitung“. Das sei allerdings eine langfristige Angelegenheit – und das gelte sowohl für eine schottische Austrittsphase aus dem UK, als auch für eine Eintrittsphase in die EU.
„Outright Monetary Transactions“: Bundesverfassungsgericht muss urteilen
Das Bundesverfassungsgericht muss heute erneut über die OMT-Politik der Europäischen Zentralbank befinden, nachdem der EuGH sich der Kritik der Karlsruher Richter weitgehend nicht angeschlossen hatte.
Ein unschönes Fallbeispiel darüber, wie politische Beschlüsse Fakten schaffen und angebliche Absicherungen dabei glatt überfahren. Nur gut, dass so etwas bei einem TTIP-Vertrag niemals passieren könnte.
UPDATE: 10:30 Uhr __by Auerbach
+++ Échauffements in Kürze +++
In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod. (Friedrich von Logau)
BERLIN. Erbschaftssteuer: »Familienunternehmen gewinnen Lobbyschlacht um die Erbschaftsteuer« titelt Cerstin Gammelin ihren Kommentar (SZ, v. 20.06.2016). Über die Auswirkungen des am Montag verabschiedeten Kompromisses in Sachen Erbschaftsteuer schreibt Gammelin:
Um durchschnittlich 200 Millionen Euro soll das Aufkommen an Erbschaftsteuer jährlich steigen, wenn die neuen Regeln in Kraft sind.
Zum Vergleich: Jährlich werden in Deutschland Vermögen im Wert von 200 bis 300 Milliarden Euro vererbt. Und das sind nur die konservative Schätzungen. Das Aufkommen an Erbschaftsteuer schwankte zuletzt zwischen fünf und sechs Milliarden Euro.
Mit anderen Worten: Die große Koalition hat in den vergangenen Monaten unverhältnismäßig viel politische Energie in eine Bagatellsteuer gesteckt.
Doch die Selbstbeweihräucherungen führender Politiker überschlagen sich. Für SPD-Chef Sigmar Gabriel stellt die last-minute Einigung der Großen Koalition in Sachen Erbschaftssteuer doch glatt schon einen »Beitrag zu mehr Steuergerechtigkeit dar«. CSU-Oberhorst Horst Seehofer freut sich gar über »den Schutz von Arbeitsplätzen« [sic!].
Clemens Fuerst, Präsident des Ifo-Instituts: »Die Reform hält an der Kombination aus hohen Steuersätzen und komplexen Ausnahmen für Betriebsvermögen fest.« Durch ein Dickicht an Sonderregelungen und Vergünstigungen werden große Vermögen also weiterhin niedriger besteuert als die der Normalverdiener.
https://twitter.com/DKultur/status/744957504652713984
Eine detaillierte Analyse zur neuen Erbschaftssteuerregelung in der Zeit: Verpasste Chance?
Fazit: SPD, CDU und CSU beklagen zwar in Personalunion, lautstark und medienwirksam die ungleiche Vermögensverteilung in Deutschland, die Kluft zwischen dem 1% Superreichen und der immer härter arbeitenden Bevölkerung. Nur schaffen sie es offensichtlich nicht, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Erbschaftssteuer so zu formulieren, dass eben diese beklagten Unterschiede auch nur ansatzweise bekämpft und ausgeglichen werden könnten. Sofortbilds Ratschlag: Freunde, hört auf! Geht in Rente. Macht Urlaub. Hört einfach auf, derart halbherzige Kompromisse zu verabschieden. Traut Euch endlich, Politik zu machen! ****** Note: Sechs. Sitzen geblieben.
Aus den Archiven: Zu den Hintergründen der Erbschaftsteuerdebatte Irrungen, Wirrungen, Erbschaftssteuer. Nachdenkenseiten, 2014, von Jens Berger.
Julia Friedrichs Artikel Erben – Eine Klasse für sich in der Zeit, v. 18.03.2015. Julia Friedrichs Recherche auch als Buch Wir erben – Was Geld mit Menschen macht, Berlin Verlag (siehe Bild, oben).
Sanders-Unterstützer: „Warum ich nicht für Hillary Clinton arbeiten werde“
Bernie Sanders macht weiter.
„Hillary Clinton machte Geschichte, aber Bernie Sanders hat das störrisch ignoriert,“ jammern Michael Barbaro und Yamiche Alcindor in einem Artikel für die „New York Times“.
Soviel sozialistische Sturheit ist allerdings dermaßen skandalös, dass man eine Erklärung dafür finden muss, damit die behäbige Leserschaft nicht an der Nachricht erstickt. „Revolutionen“, dozieren die Autoren, „machen nur selten Platz für anmutige Bekundungen einer Niederlage.“
OK. Das war jetzt mundgerecht. Und das sollen auch erst einmal genug Zitate aus dem journalistischen Großformat, zur Lage des demokratischen Lagers in Amerika, gewesen sein.
Es gibt auch nachdenklichere Kritiker Bernie Sanders‘ und seiner Bewegung.
Robert Reich, langgedienter Demokrat in US-Bundesregierungen von Präsident Carter bis Präsident Clinton, riet Sanders Unterstützern in einem am 27. Mai veröffentlichten Aufruf, Clinton zu unterstützen.
Falls Clinton die Dem-Nominierung denn gewinne. Aber mal ehrlich: glaubte Robert Reich auch nur von fern an eine Mehrheit für Sanders unter den Delegierten, Superdelegierte eingeschlossen? Tut oder tat das überhaupt jemand im Establishment? Schwer vorstellbar. Dafür lebt die Arroganz auf zu großem Fuß.
Dass man jetzt Clinton unterstützen müsse, um Donald Trump zu verhindern, zwitschern und trompeten die Vertreter des demokratischen Establishments von den Dächern. Und die deutsche Presse tut es ihnen weitgehend nach.
Umso lesenswerter ein abweichender Artikel wie dieser von Jake Johnson – „No, I won’t work for Hillary Clinton: a Response to Robert Reich“.
Es gehe nicht, wie von Reich propagiert, um eine Wahl des kleineren Übels, erklärte Johnson. Die angebliche Wahl zwischen dem größeren und dem kleineren Übel habe man schon früher vorgelegt bekommen.
Reich hatte am 27. Mai geschrieben:
Ich kann natürlich niemanden kritisieren, der seinem Gewissen folgt. Aber euer Gewissen sollte wissen, dass eine Entscheidung, nicht für Hillary zu stimmen, sollte sie die demokratische Kandidatin werden,eine faktische Entscheidung ist, Donald Trump zu helfen.
Darauf reagierte Johnson am 30. Mai, indem er just diesen Absatz Reichs zitierte, und dann wie folgt ausführlich kritisierte (es wird eine lange, auszugsweise Wiedergabe, ab hier):
Der zweite der beiden Sätze ist der entscheidende, und das Gewicht dieses Arguments zugunsten einer Unterstützung für Hillary Clinton, wenn sie nominiert wird, beruht auf seiner Stärke. Das Problem dabei: die Behauptung, „eine Weigerung, Clinton zu unterstützen sei „eine faktische Entscheidung, Donald Trump zu helfen“, ist irrig.
Vielleicht unabsichtlich wärmt Reich – in einem neuen Zusammenhang – ein ziemlich altes Argument auf, das – besonders herausragend – George Orwell in seinen Werken gegen Pazifismus in der Mitte des zweiten Weltkriegs vorbrachte.
„Pazifismus ist objektiv pro-faschistisch“, argumentierte Orwell in einem Essay, der 1942 veröffentlicht wurde. „Dies ist grundlegender gesunder Menschenverstand. Wenn man die Kriegsanstrengung einer Seite behindert, hilft man automatisch der anderen Seite.“
Wie Corey Robin bemerkte, hat das Establishment der Demokraten [der Demokratischen Partei] in einer Anstrengung, Abweichung zu unterdrücken und legitime Kritik an ihrer bevorzugten Kandidatin zum Schweigen zu bringen, eine gewissermaßen leninistische Haltung einzunehmen, die Einheit und Konformität grundlegenden Prinzipien überordnet, welche Demokraten in anderen Zusammenhängen verfechten – alles in der Verkleidung, die Partei zu schützen und den Sieg gegen die andere Seite zu sichern.
[…]
Aber diese Dichotomie ist falsch, wie Orwell selbst später in schriftlicher Veröffentlichung anerkannte.
„Das Schlüsselwort ist hier ‚objektiv‘, schrieb Orwell 1944. „Man erzählt uns, es seien nur die objektiven Handlungen der Menschen, die wirklich zählen, und dass ihre subjektiven Gefühle unwichtig seien. Daher hülfen Pazifisten, indem sie die Kriegsanstrengung behindern, ‚objektiv‘ den Nazis, und daher sei die Tatsache, dass sie persönlich dem Faschismus feindlich gesonnen seien, irrelevant. Ich habe mich mehr als einmal schuldig gemacht, das selber zu sagen.“
Orwell war eine Seltenheit unter politischen Autoren, weil er ziemlich schnell Fehler in seinen Argumenten korrigierte.
„Das ist nicht nur unehrlich; es bringt auch einen ernsthaften Nachteil mit sich,“ fuhr Orwell fort. „Wenn man die Motive von Menschen missachtet, wird es viel schwieriger, ihre Handlungsweisen vorauszusehen.“
[…]
Wenn man Clinton nicht aktiv hilft – sondern im November zu Hause bleibt – ist das für Reich gleichbedeutend mit einer Hilfeleistung für Trump.
Aber Sanders Unterstützer stehen nicht an den Seitenlinien; sie sind an vorderster Front, indem sie gegen Donald Trumps unverzeihliche Bigotterie protestieren und seinen falschen Populismus verurteilen, während sie eine begeisternde und integrative Alternative formulieren.
Das ist der Punkt, den Reich nicht anzuerkennen vermag: Man kann, ohne Widersprüchlichkeit, sowohl eine Unterstützung Clintons ablehnen und sich Donald Trump glühend entgegenstellen. Proteste, Engagement, Organisation und bürgerlicher Ungehorsam machen oft mehr Krach und erzwingen mehr Wandel als Entscheidungen an der Wahlurne.
[…]
Für Hillary Clinton zu arbeiten würde zum Beispiel die grundsatztreue Position zugunsten einer Wahlkampffinanzierungsreform beiseiteschieben, oder die gegen amerikanische Aggressionen in Übersee, zugunsten einer Kandidatin,die wiederholt auf der falschen Seite stand.
Ich werde also weiterhin Bernie Sanders und die Bewegung unterstützen, die er entzündet hat – sowohl weil ich glaube, dass es das Richtige ist, und weil ich es ablehne, mich einer Kandidatin anzuschließen, die just in den letzten paar Monaten grundlegende Transparenzstandards verwarf, diejenigen herabsetzte, die für ehrgeizige soziale Programme kämpften, eine Kandidatin, die [einem Gesundheitswesen, in dem der Staat anstelle von privaten Versicherern für die Kosten des Gesundheitswesens zahlt], den Rücken kehrte, republikanische Spender umwarb, Wahlkampfbeiträge von der Wall Street und der Ölindustrie annahm und das zentrale Argument gegen die katastrophale Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zur Citizens United attackierte.
Ich werde mich Robert Reichs Kampf gegen Donald Trump gerne anschließen. Dessen Ignoranz ist beängstigend, und seine Bigotterie ist verwerflich.
Aber ich werde mir keine Vorlesungen darüber anhören, wie eine Weigerung, Hillary Clinton – eine Kandidatin, die den Rechtsschwenk der Demokraten verkörpert, welcher so zerstörerische Wirkungen für die Menschen hatte, für die Clinton nun zu kämpfen behauptet – auf eine Unterstützung für Trump hinauslaufe. Das ist nicht der Fall.
Was Reichs Besorgnis für die Zukunft der Demokratischen Partei betrifft, halte ich es mit Michelle Alexander: „Ich hege wenig Hoffnung, dass es in der Demokratischen Partei eine politische Revolution gebe, ohne eine fortgesetzte Bewegung außerhalb, die wirklich transformatorischen Wandel erzwingt. Ich neige zu dem Glauben, dass es leichter wäre, eine neue Partei zu errichten, als die Demokratische Partei aus ihr selbst heraus zu retten.“
Soweit Auszüge aus Jake Johsons Erwiderung auf Robert Reich.
In der Presse und im Rundfunk sind Argumente wie Johnsons fast nicht vernehmbar. Aber die Demokratische Partei wird möglicherweise im November die traumatische – und längerfristig heilsame? – Erfahrung machen, dass es ein Fehler war, sich um die Motive innerparteilicher (und auch außerparteilicher) Kritiker jahrzehntelang nicht zu kümmern.
Clinton gegen Trump sei „eine große Chance für Amerika“: in dieses mühsam konstruierte Klischee möchte der „Spiegel“ den sich abzeichnenden Showdown hineinpressen.
Das könnte wahr werden, aber mit einem ganz anderen Ergebnis, als es sich Veit Medick, Amerika-Korrespondent des Hamburger Nachrichtenmagazins, erhofft.
Die „checks and balances“, die aus Medicks Sicht Trump verhindern sollen, können eine Präsidentschaft des republikanischen Großmauls bei Bedarf auch zur Verfassungstreue zwingen – ebenso wie eine Präsidentschaft Clintons.
Mehr ist für die nächsten vier Jahre leider nicht drin. Aber sie werden weder den Weltuntergang bedeuten, noch den Untergang Amerikas.
Morning Roundup: Große Politik und Kleine Kneipe
By Auerbach and JR
Muhammad Ali gestorben
Muhammad Ali starb am Freitag in einem Krankenhaus bei Phoenix, Arizona, nach jahrzehntelanger Krankheit. Der wortgewaltige Boxer meldete sich fast bis zuletzt zu Wort, so mit Kritik am voraussichtlichen Präsidentschaftskandidaten der Republikaner, Donald Trump:
„Wir müssen als Moslems aufstehen gegen diejenigen, die den Islam zur Förderung ihrer persönlichen Agenda verwenden,“ hatte Ali im vergangenen Dezember geschrieben, ohne Trump namentlich zu nennen. „Sie haben viele davon abgehalten, über den Islam zu lernen. Wahre Muslime wissen oder sollten wissen, dass es gegen unsere Religion ist, unsere Religion anderen aufzuzwingen oder es zu versuchen.“
Ebenfalls im Dezember, drei Tage vor Alis Erklärung, hatte Trump laut einer Meldung von NBC News getwittert, er könne sich an keine großen [muslimischen] amerikanischen Athleten erinnern.
FIFA übt Selbstkritik – oder so ähnlich
Wo wir schon beim Sport sind:
Échauffements in Kürze +++ Die FIFA >>> Irgendwie Komödie? Oder schon Groteske? Die FIFA bezichtigt sich selbst der Korruption, listet erstmals Zahlungen ehemaliger Vorstandsmitglieder auf der eigenen Webseite http://www.fifa.com/governance/news/y=2016/m=6/news=attorneys-for-fifa-provide-update-on-internal-investigation-and-detail-2799851.html?intcmp=fifacom_hp_module_news >>> laut WDR Aktuell – Die Mafia-Machenschaften der #FIFA. 71 Mio. sollen sich die Chefs untereinander zugeschustert haben.http://www.ardmediathek.de/tv/-/-/-/Video?documentId=35771084 +++ Spiegel Online zu SEPP BLATTERS Schmiergeldsystem http://www.spiegel.de/sport/fussball/fifa-skandal-anwaelte-veroeffentlichen-blatters-bonuszahlungen-a-1095761.html +++
Frankreich
Ein ganzes Land im Generalstreik, Berichte exzessiver Polizeigewalt, Regierung verlängert den Ausnahmezustand … und man sorgt sich um die Fußball Europameisterschaft #EM2016. Als Machtkampf der Regierung mit ihren eigenen Wählern« beschreibt Ulrike Guérot die Proteste gegen die Arbeitsmarktgesetze in Frankreich im aktuellen derFreitag. +++ Von der Regierungskrise zum Bewegungserfolg? Zur Dialektik des Klassenkampfes in Frankreich, Neues Deutschland. Für die TAZ analysiert der Philosoph Guillaume Paoli die Machtverhältnisse In Frankreich demonstrieren die Menschen erbittert gegen neue Sozial- und Arbeitsmarktgesetze. Deutschland schaut weg. Warum?« +++
Armut in Deutschland
Leidenschaftlich und auch ein wenig resignierend beschreibt @Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband das jahrzehntelange Versagen deutscher Politik bei der Armutsbekämpfung. INTERVIEW (Video) https://daserste.ndr.de/beckmann/videos/Politik-versagt-beim-Kampf-gegen-Armut,beckmann828.html+++ Die große Koalition kümmert das wenig, betreibt sie doch weiterhin Klientelpolitik und vertagte gestern erneut die dringende Einigung um die #Erbschaftssteuer. Dazu Spiegel Online http://www.spiegel.de/politik/deutschland/erbschaftssteuer-einigung-noch-vor-sommerpause-a-1095796.html +++
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… Morning all, it’s just another perfect day in paradise. Let’s take a break and have some coffee before we move on to China and Taiwan …
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Sofortbild
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Chinesen und Taiwaner gedenken des Massakers vom 4. Juni 1989
Mit dem 4. Juni jährt sich zum 27. Mal das Massaker in Beijing gegen die Demokratiebewegung. Hong Kong ist ein Ort in China, an dem man in öffentlichen Zeremonien daran erinnern kann. Darüber allerdings, ob und wie das geschehen soll, gehen die Meinungen auch unter denen auseinander, die der KP Chinas ablehnend gegenüberstehen. Ein Korrespondenzartikel aus Singapur für die „New York Times“ stellt diese Differenzen als » Generationskonflikt dar: die jüngeren Oppositionellen Hong Kongs seien eher an lokaler demokratischer Entwicklung interessiert als an nationaler.
Ein Korrespondent des Kabelsenders CNN vermutet, die Teilnahme an den jährlichen Gedenkveranstaltungen im Victoria Park könnte in diesem Jahr geringer ausfallen als sonst.
Taiwan gedenkt des Massakers erstmals im Parlament.
Dies geschehe nur Wochen, nachdem die china-skeptische Präsidentin Tsai Ing-wen in Taipei das höchste Amt der Republik China (so Taiwans offizielle Staatsbezeichnung) übernommen habe, so AFP – Tsais Vorgänger Ma Ying-jeou habe eine Politik der Annäherung an Beijing betrieben.
Gleichwohl erinnerte auch Präsident Ma während seiner achtjährigen Amtszeit bis Mai 2016 Jahr für Jahr am 4. Juni an das Massaker, ohne übertriebene Rücksicht auf die leicht verletzbaren Gefühle seiner – meist indirekten – Gesprächspartner in Beijing, mit denen seine Regierung über eine halbstaatliche Stiftung kommunizierte, dem „Rat für Festlandsangelegenheiten“ in Taipei.
Dilma Rousseffs Chancen steigen – jedenfalls ein bisschen
Vor wenigen Wochen erschien die Amtsenthebung Dilma Rousseffs unvermeidlich, so Glenn Greenwald in „The Intercept“. Mittlerweile jedoch – die gewählte brasilianische Präsidentin ist suspendiert, aber nicht endgültig aus dem Amt entfernt – gilt die endgültige Abfertigung Roussefs zwar immer noch als wahrscheinlich, aber keineswegs als sicher, so Greenwald. Mittlerweile nämlich interessierten sich die brasilianischen Massenmedien verstärkt dafür, wer denn eigentlich ihre Amtsenthebung ins Werk setze und welche Interessen dabei verfolgt würden.
Mindestens drei Senatoren, die bisher Rousseffs Amtsenthebung unterstützten, überlegen sich das mittlerweile offenbar anders.
Im Mai hatte Greenwald die brasilianische Präsidentin interviewt.
Ursula von der Leyens Chancen sinken – jedenfalls ein bisschen
Im Prozess um das Sturmgewehr G36 zeichnet sich ein Sieg von Hersteller Heckler & Koch ab, meldet die „Welt“.
Aber wen kratzt das im Verteidigungsministerium schon ernsthaft. Bei guter Beleuchtung merkt das keiner.
Großbritannien: Keiner mag die EU, aber man wählt sie trotzdem
G. Grundy, ein britischer Blogger und in der Wolle gefärbter Konservativer, hat sich zu einer Stimme gegen den „Brexit“ im anstehenden Referendum entschlossen:
Ich treffe meine Wahl nicht, weil ich mich einem europäischen Föderalismus verpflichtet fühlen würde – einem Projekt, das ich für unglaublich fehlgeleitet halte, für eins, das wahrscheinlich in einem Disaster enden wird, und das mit dem Euro in ein Disaster mündete. Wenn es in diesem Referendum darum ginge, sich aus dem Euro [der EU-Währung] herauszuhalten, oder um die Schaffung einer europäischen Armee, oder irgendeine der föderalen projekte, von denen die Brexit-Kampagne behauptet, sie könnten passieren (sie werden nicht passieren, weil das Vereinigte Königreich ein Veto dagegen einlegen kann), dann würde ich binnen eines Pulsschlags für das Verlassen der EU stimmen. Die hochfliegenden Ideale, von denen die Unterstützer der EU manchmal sprechen, lassen mich kalt. Wer jetzt nicht skeptisch hinsichtlich der EU ist, kann nicht aufgepasst haben.
Um seine europäischen Familienbeziehungen fürchtet Grundy nicht – vielleicht würde die Einreise in Länder des Kontinents schwieriger, aber sie würde sicher zu keiner unüberwindlichen Schwierigkeit. Aber Großbritannien würde wirtschaftlich ärmer.
Und schließlich könne mit einem Brexit die schottische Unabhängigkeitsbewegung langfristig wieder aufleben – und „aggressive Regime“ wie Vladimir Putins sich ermutigt fühlen, mit entsprechend höherer Kriegsgefahr auf dem europäischen Kontinent.
Tatsächlich haben sowohl US-Präsident Obama als auch Chinas Staatsvorsitzender Xi Jinping sich für einen Verbleib Großbritanniens in der EU ausgesprochen. Es spricht viel dafür, dass die gesamtbritische Referendumskampagne so spannend bleibt wie vor knapp zwei Jahren die schottische – um dann ähnlich überzeugend für einen Verbleib zu entscheiden wie seinerzeit Schottland.
Liebe wäre es weder im schottischen noch im gesamtbritischen Falle nicht – wirtschaftliches Interesse hingegen schon.
Donald Trump morpht sich zur GoP-Kandidatur
Einmal Außenseiter, immer Außenseiter? Smukster bestaunt die Fähigkeit Donald Trumps, sich von Kopf bis Fuß mit Gänsefett einzureiben, ohne dabei für glitschig gehalten zu werden.
Aber warum auch? Präsidentschaftskandidaten im Fernsehen kann man ja nicht anfassen. Man kann also auch nicht an ihnen abrutschen.
Shangri-La
Gestern begann der 15. Asia Security Summit, aka ISS Shangri-La Dialogue, in Singapur. Veranstalter ist das International Institute for Strategic Studies, ein Thinktank in London, der 2003 die Invasion des Irak befürwortete. Die britische Nachrichtenagentur Reuters erklärt die Konflikte zwischen den Anrainerstaaten des Südchinesischen Meeres (in Vietnam nennt man es das Ostmeer) zum voraussichtlich dominierenden Thema des Gipfeltreffens. Das Forum sei die letzte Gelegenheit für zwei der Konfliktparteien, in ihrem speziellen Streitfall Unterstützer zu gewinnen, bevor der Ständige Schiedshof zu einer Entscheidung gelange.
China nimmt an dem Schiedsverfahren nicht teil. Aus Sicht Beijings handle es sich nicht um Nutzungsrechte (durch Fischerei, Energiegewinnung etc.), sondern um Souveränitätsrechte, für die der Ständige Schiedshof nicht zuständig sei.
Beim Gipfel in Singapur gehe es – „nach Einschätzung auswärtiger Beobachter“ – um das Südchinesische Meer, die koreanische Halbinsel, und um islamischen Islamismus, schreibt die Shanghaier Website „Guanchazhe“, und fügt hinzu, nach Expertenmeinung werde das von den Philippinen angestrengte Schiedsverfahren für viele Debatten auf dem Forum sorgen. Ein Experte für internationale Beziehungen an der Beijinger Volksuniversität, Shi Yinhong, wird mit der Bemerkung zitiert, China müsse sich in Singapur auf mehr Opposition der USA und asiatischer Staaten einstellen als in früheren Jahren.
Das Südchinesische Meer funktioniere „wie ein Flaschenhals“, schrieb vor zwei Jahren J. Taylor, ein früherer FC-Forist:
Dort leben nicht nur 1,5 Milliarden Chinesen und 600 Millionen Asiaten in den direkten Anrainerstaaten, deren Staatsgebiete sich in diesem Meer überlappen, sondern etwa 50% aller auf dem Seeweg transportierten Waren, das sind 45% des gesamten Welthandels, führen durch die Andamanen See und die Straße von Malakka hinein und hinaus. Daneben wird im Südchinesischen Meer etwa 1/10 des weltweiten Fischfangs angelandet und unter diesem Meer liegen konservativ geschätzt etwa 7 Milliarden Barrel Erdöl und 25 Billionen Kubikmeter Erdgas, der Grund, warum das Südchinesische Meer auch der Persische Golf des 21. Jahrhunderts genannt wird.
RFE/RL: Weniger Radio für Russland
„Radio Free Europe“ stellt mit dem 26. Juni seine russischsprachigen Kurzwellensendungen ein. Hessen spart also zukünftig ein bisschen Energie.
Lück wie ich und du
Und die kleine Kneipe bleibt die kleine Kneipe.
Nicht gar so harmonisch geht es in der Kaffeebud‘ her:
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